SERIE: Spanien heute

17.08.2009 - Madrid für Deutsche 

Als sich nach dem Tod von General Francisco Franco im Herbst 1975 der Weg für eine Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit öffnete, stellte sich, wie in vielen demokratischen Transitionsprozessen, auch in Spanien die Frage nach dem Umgang mit dem Erbe von 40 Jahren Diktatur. Die heikelste Erblast des Regimes bestand dabei in der Erinnerung an die politische Gewalt und ihre Opfer während des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der Bürgerkrieg selbst hatte mindestens 150.000 Tote gefordert.

Politischen Repressionen waren in der republikanischen Zone nach jüngeren Erkenntnissen zwischen 35.000 und 50.000 Personen, in der sogenannten “nationalen” Zone mindestens 150.000 Menschen zum Opfer gefallen. Darüber hinaus hatten schätzungsweise zwischen 200.000 und 400.000 Menschen als Zwangsarbeiter über viele Jahre hinaus in Arbeitsbataillonen und Straflagern der Franco-Diktatur gelitten, und fast eine weitere halbe Million Personen war nach dem militärischen Zusammenbruch der Republik ins europäische oder überseeische Exil geflüchtet. Viele Opfer von politischen Säuberungen waren zudem überall im Land in anonymen Massengräbern verscharrt worden und gelten – zumindest was die Seite der Kriegsverlierer betrifft – oft bis heute als “Verschwundene” des Krieges.

Eine für den Augenblick des demokratischen Übergangs tragfähige Neutralisierung dieser gewaltigen Erblast erbrachte bekanntlich die Generalamnestie von 1977, die auf dem Willen aller Parteien zu einem grundlegenden Neuanfang ohne historische Belastungen beruhte. Das Gesetz amnestierte nicht nur die politischen Gefangenen des Regimes, sondern garantierte den Gewalttätern beider Lager, darunter auch den Sicherheitskräften des Regimes, Straflosigkeit.

Darüber hinaus begründete die Verabschiedung des Gesetzes eine implizite Abmachung zwischen den politischen Eliten, die jüngste Geschichte ebenso wie die heikle Frage nach Schuld und Verantwortung von der tagespolitischen Debatte auszuklammern. Dabei hatten wiederholte Schuldeingeständnisse historischer Protagonisten auf beiden Seiten schon lange zuvor das Bewusstsein einer Kollektivschuld erzeugt, die ihrerseits zu einer wichtigen Voraussetzung für den gesamten demokratischen Übergangsprozess wurde.

Bilanziert man diesen vergangenheitspolitischen Schlussstrich im Licht der Bürgerkriegskategorien, so wird rasch klar, dass die Verliererseite einen deutlich höheren Preis für die Wiedergewinnung der Demokratie zu zahlen hatte. Zur Niederlage im Krieg und der ungleich größeren Repression gegen die Verlierer gesellte sich die politische und sozialökonomische Diskriminierung der Diktatur, die erst durch den Wirtschaftsboom der 60er Jahre und die damit einhergehende Verbesserung der Lebensbedingungen gemildert wurde.

Moralische und materielle Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht ließ dagegen auch nach dem Tod des Diktators lange auf sich warten. So kamen selbst unter den seit 1982 regierenden Sozialisten, die im Bürgerkrieg klar auf der Verliererseite gestanden hatten, nur wenige Opfergruppen in den Genuss von Reparationsleistungen. Stattdessen erklärte der sozialistische Regierungschef Felipe González anlässlich des 50. Jahrestages des Kriegsausbruchs im Jahre 1986, dass der Bürgerkrieg “kein Ereignis [ist], dessen man gedenken sollte, auch wenn er für die, die ihn erlebten und erlitten, eine entscheidende Episode in
ihrem Leben darstellte”.

Das offizielle Desinteresse an individuellen Schicksalen und Leiderfahrungen wurde in gewisser Weise kompensiert durch die Präsenz der Fachhistorie, die seit den 70er Jahren Bedingungen und Ursachen des Bürgerkriegs in allen Einzelheiten erforscht und in einer Fülle neuer Publikationen dargelegt hatte. Eine Brücke zu den historischen Protagonisten selbst herzustellen, vermochten die Historiker – etwa im Sinne der oral history – in der Regel jedoch nicht...

Lesen Sie weiter in:
Walther L. Bernecker (Hg.)
Spanien heute, Vervuert Verlag Ffm 2008
ISBN 978-3-86527-418-2

Erhältlich bei Auryn (s. Adressverzeichnis) und
www.ibero-americana.net

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