INTERVIEW: „Krise trifft Berufseinsteiger hart“

24.02.2009 - Julia Macher 

Die „Krise“ dominiert in Spanien seit Monaten die politische Tagesordnung. Viel ist gesagt worden zu Finanzpolitik und Wirtschaftsrezession, zu notwendigen Regulierungsmaßnahmen und zur „Neuerfindung“ des Kapitalismus. Die Frage, wie sich die Krise auf die spanische Durchschnittsfamilie auswirkt, ist dabei in den Hintergrund gerückt. Dabei erlebt die gerade eine ungewollte Renaissance: Immer mehr junge Spanier kehren in ihr Elternhaus zurück, weil sie den Job verloren haben und sich die eigene Wohnung nicht mehr leisten können. Diese Entwicklung wird die spanische Gesellschaft nachhaltig verändern, glaubt unserer Interviewpartner Antonio del Cerro, Professor für Soziologie und Psychologie an der Universität Barcelona.

Über die Wirtschaftskrise stöhnt man in Madrid genauso wie in Badajoz. Gibt es bestimmte Kollektive, die von ihr besonders betroffen sind?


Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte keine Krise so tiefgreifende Auswirkungen auf die Mittelschicht. Sie betrifft nicht nur quantitativ besonders viele Menschen, sondern auch qualitativ in extremen Maßen den Einzelhaushalt. Die finanziellen Einbrüche sind enorm. Viele Mittelschichtshaushalte haben jetzt nur noch halb so viel Geld zur Verfügung wie noch vor einem Jahr. Besonders hart trifft es die jungen Leute.

Inwiefern?

Die Krise trifft die jungen Leute gleich auf dreierlei Weise. Zum einen ist es das Kollektiv, das die am wenigsten geschätzten, am schlechtesten bezahlten und unsichersten Arbeitsplätze hat. In der derzeitigen Situation wird das von den Unternehmern besonders ausgenutzt, nach dem Motto: „Es gibt kaum Arbeit, also nimm den schlechten Job oder geh.“ Zum anderen zerstört die Krise auf der individualpsychologischen Ebene Hoffnungen und Träume, das Vertrauen in die Zukunft und die Möglichkeit des persönlichen „Pursuit of happiness“ wird hinterfragt. Zum dritten wird die Abhängigkeit von den Eltern verstärkt.

Welche Rolle kommt Eltern bzw. der Familie im Moment zu?

In Spanien, Portugal und Italien ist die finanzielle Abhängigkeit von den Eltern traditionell besonders hoch. Die Löhne sind so niedrig, dass in Spanien im Durchschnitt die Kinder erst mit 27 bzw. 30 von zu Hause ausziehen konnten. Meistens verschlug es sie dann in die etwas erschwinglicheren Schlafstädte vor Barcelona und Madrid. Jetzt hat sich die Situation allerdings so verschärft, dass den Familien nichts anderes übrig bleibt, als im Wortsinn zusammenzurücken.

Die jungen Leute verlassen die Schlafstädte und ziehen zurück ins Elternhaus. Erlebt das Konzept „Drei Generationen unter einem Dach“ eine Renaissance?

Man sollte sich vor einer Romantisierung hüten: Was gerade passiert, ist die Rückkehr der Verlierer, also derjenigen, die ihren Job verloren haben oder sich mit ihrer Hypothek übernommen haben. Dessen sind sich sowohl die Kinder wie auch die Eltern bewusst.

Was für Konsequenzen hat das - für den einzelnen und die Gesellschaft?

Auf individueller Ebene ist die schlimmste Folge der Selbstzweifel, dieses „Ich tauge zu nichts, ich schaffe es allein einfach nicht“. Auf der kollektiven Ebene werden gerade gegründete junge Familien oder Paarbeziehungen zerstört. Wenn bei aller Liebe das Geld nicht reicht, zieht man zurück zu den Eltern und verschiebt das Erwachsenwerden um ein paar Jahre. Die gravierendste Konsequenz aber wird eine kollektive Vertrauenskrise sein.

Und damit auch das Vertrauen in die Demokratie. Ein „behandelbares“ Problem?

Das Problem ist, dass man die Krise derzeit als reine Wirtschaftskrise sieht. Gerechnet wird in Euros und in Dollars. Greifbar und damit behandelbar wird die soziale und individualpsychologische Krise dahinter erst, wenn wir sie in diesen Parametern ausdrücken - also ähnlich wie bei Umweltthemen ihre Kosten aufrechnen. Das hat bisher noch niemand gemacht.

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