Kinderarmut in Spanien: Ein stiller Notstand mitten im Aufschwung

25.05.2025 - Spanien auf Deutsch 

Spanien verzeichnet seit Jahren ein moderates Wirtschaftswachstum – doch bei Kindern und Jugendlichen kommt davon wenig an. Laut aktueller Daten des spanischen Statistikamts INE und UNICEF hat sich die Lage der jüngsten Generation sogar verschlechtert. Die Kinder sind – so formuliert es UNICEF drastisch – „die großen Verlierer“ des wirtschaftlichen Fortschritts.

 

Kinderarmut in Zahlen: Die Faktenlage 2024

Die Armutsgefährdungsquote bei Kindern ist 2024 laut INE auf 29,2 % gestiegen (Vorjahr: 28,9 %), während sie für die restliche Bevölkerung auf 19,7 % gesunken ist. Damit wächst die Lücke zwischen Kindern und Erwachsenen auf fast zehn Prozentpunkte – ein historisch hoher Wert.

Besonders dramatisch: Rund 2,3 Millionen Kinder und Jugendliche in Spanien leben an oder unter der Armutsgrenze. In strukturschwachen Regionen wie Andalusien sind es sogar 36 % der Minderjährigen. Spanien zählt trotz Fortschritten weiterhin zu den EU-Schlusslichtern bei Kinderarmut, Schulabbruch und Jugendarbeitslosigkeit.

 

Langzeitfolgen: Wenn Armut Chancen frisst

Kinderarmut wirkt sich unmittelbar negativ auf die Bildungschancen, die gesundheitliche Entwicklung und die spätere berufliche Laufbahn aus. Laut UNICEF zeigen Studien, dass sich chronische finanzielle Unsicherheit bereits im Kleinkindalter auf die Gehirnentwicklung auswirkt – mit langfristigen Folgen für mentale Gesundheit, Lernfähigkeit und Selbstwertgefühl.

Stress, ausgelöst durch Wohnungsunsicherheit, mangelnde Versorgung oder familiäre Belastung, kann sich tief ins Leben einschreiben. Bis zu 70 % der späteren psychischen Erkrankungen entstehen laut UNICEF bereits vor dem 18. Lebensjahr – oft unter dem Einfluss sozialer Not.

 

Wohnung und Gesundheit: doppelte Last

Ein zentraler Faktor für die Armut vieler Kinder ist die Wohnsituation. Laut UNICEF erhöht sich das Armutsrisiko um über ein Drittel, wenn man die Wohnkosten vom Haushaltseinkommen abzieht. Etwa 800.000 Kinder gelten zusätzlich als arm, sobald Miete oder Hypotheken berücksichtigt werden.

16,3 % der unter 18-Jährigen leben in Haushalten, die mit Miet- oder Energieschulden kämpfen. Für viele Familien bedeutet das: unzureichend beheizte Wohnungen, beengte Verhältnisse oder ständige Umzüge – mit entsprechendem psychischem Druck für alle Beteiligten.

 

Initiativen vor Ort: Engagement gegen Armut

Trotz der ernüchternden Statistik gibt es auch Hoffnungsschimmer. In vielen Regionen Spaniens entstehen kreative, integrative Projekte – etwa Flamenco-Unterricht in benachteiligten Vierteln, der Kindern Ausdruckskraft und Selbstbewusstsein vermittelt. Oder sogenannte Energiekommunen, in denen Nachbarschaften gemeinsam Ressourcen teilen.

Solche Initiativen werden zum Teil von Kommunen oder Landesregierungen unterstützt, doch meist sind es private Gruppen, Vereine oder NGOs, die diese wertvolle Arbeit leisten – oft mit minimalen Mitteln, aber großer Wirkung.

Ein weiterer Lichtblick ist das kürzlich eingebrachte „Gesetz über die Schulspeisung“, das allen Kindern in Spanien den Zugang zu gesunden Mahlzeiten garantieren soll. Damit soll ein gerechterer Start ins Leben möglich werden – unabhängig vom Einkommen der Eltern.

 

UNICEF fordert grundlegende Reformen

Um die strukturelle Kinderarmut in Spanien wirksam zu bekämpfen, fordert UNICEF:

  • Einführung einer universellen Kindergrundsicherung, ergänzend zum Ingreso Mínimo Vital
  • Verbesserung des Zugangs zu psychosozialer Unterstützung für Familien
  • Mehr Investitionen in frühkindliche Bildung, Gesundheit und Wohnraum
  • Verankerung eines Paktes gegen Kinderarmut auf nationaler Ebene
  • Umsetzung der Europäischen Kindergarantie durch konkrete Maßnahmen in Spanien

Laut EU-Kommission befindet sich Spanien gemeinsam mit Bulgarien in einer „kritischen Situation“ im Hinblick auf Kinderarmut – das darf nicht der Normalzustand sein.

 

Fazit: Die Kinder zahlen den Preis

Während Wirtschaftsdaten Fortschritte signalisieren, bleibt eine wachsende Zahl junger Menschen vom Aufschwung ausgeschlossen. Kinderarmut ist kein Randphänomen, sondern betrifft Millionen – mit realen, langfristigen Folgen für sie selbst und die gesamte Gesellschaft.

Es liegt an Politik, Gesellschaft und jedem Einzelnen, hinzusehen und zu handeln. Denn kein Kind sollte in einem Land aufwachsen, in dem Armut zum Lebensstandard gehört.

 

Bildquelle: wikimedia commons

Kommentare (0) :

Comentar artículo
Archivo de artículos
  • 15.05.2025 [Comentarios: 0]

    Bedeutende Frauen Spaniens – Teil 10: Isabel Oyarzábal

    Pionierin der Diplomatie, Schriftstellerin und feministische Stimme der RepublikIsabel Oyarzábal Smith (1878–1974) war vieles: Lehrerin, Journalistin, Schriftstellerin, Feministin, Diplomatin. Sie war eine Frau, die Brücken baute – zwischen Spanien und der Welt, zwischen Literatur und Politik, zwischen weiblicher Selbstbestimmung und .. más

  • 14.02.2025 [Comentarios: 0]

    Aurora Rodríguez Carballeira und ihr gescheitertes Experiment: Der Mord an Hildegart

    Aurora Rodríguez Carballeira ist eine der tragischsten und zugleich faszinierendsten Figuren der spanischen Geschichte. Sie war eine radikale Feministin, eine überzeugte Eugenikerin und eine Mutter, die ihre eigene Tochter als "Projekt" betrachtete. Doch ihr Experiment, die "perfekte Frau" zu erschaffen, endete in einem tödlichen Drama... más

  • 27.09.2024 [Comentarios: 0]

    Der enorme Stromverbrauch durch illegale Cannabis-Plantagen in Spanien: Ein wachsendes Problem

    In Spanien wächst das Problem des illegalen Cannabis-Anbaus, insbesondere in Innenräumen, rasant. Diese sogenannten Indoor-Plantagen sind schwer zu entdecken und extrem energieintensiv. Die Beleuchtungs- und Belüftungssysteme, die für den Anbau notwendig sind, laufen rund um die Uhr, was zu einem dramatisch erhöhten Stromverbrauch führt. .. más

  • 22.03.2024 [Comentarios: 0]

    Gemeinsamer Stammtisch Spanien auf Deutsch mit dem VDI in Barcelona

    Der VDI (Verein Deutscher Ingenieure) trifft sich seit 1996 Jahren einmal pro Monat in Barcelona. Der Stammtisch ist ein Ableger des Stammtisches "VDI-Freundeskreis“ in Madrid. Die Teilnehmer sind schon lange nicht (mehr) nur Ingenieure. Ein bunter Haufen, meist allerdings eher mit Männerüberschuss. Im Jahr 2008 wurde der Stammtisch.. más

  • 03.11.2023 [Comentarios: 0]

    Bedeutende Frauen Spaniens – Teil 8: Clara Campoamor

    Clara Campoamor: Eine Revolutionärin für Frauenrechte und Demokratie Clara Campoamor (1888-1972) - eine Frau, deren Leben und Wirken sich kaum auf ein einzelnes Attribut reduzieren lässt. Als Schriftstellerin, Politikerin, Feministin und Kämpferin für die Demokratie trug sie maßgeblich zur Gestaltung der spanischen Geschichte bei. Der .. más

  • 10.08.2023 [Comentarios: 0]

    Tipps zur Bewältigung der Hitzewelle in Spanien: 9 Strategien, um das Zuhause kühl zu halten

    Während eine dritte und intensive Hitzewelle weite Teile des Landes beeinflusst, ist es unabdingbar, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um sich vor den extremen Temperaturen zu schützen. Während einige das Privileg genießen können, sich in der Nähe des Strandes oder des Schwimmbads aufzuhalten, stehen andere vor der Herausforderung, die .. más

  • 30.01.2023 [Comentarios: 0]

    Billy el Niño, Francos gefürchteter Folterknecht

    Antonio González Pacheco, auch bekannt als ‚Billy el Niño‘ (Billy, das Kind), war ein spanischer Polizist, der während der Franco-Diktatur in Spanien als Mitglied der Brigada Político-Social (BPS) diente. Diese Einheit war für die Inhaftierung, Folter und Hinrichtung politischer Gefangener verantwortlich. Er war das sichtbarste Gesicht.. más

  • 03.08.2020 [Comentarios: 0]

    Das bringt Unglück: Aberglaube in Spanien

    Die Spanier sind vor den Italienern, Deutschen und Franzosen die abergläubischsten Europäer. Über 60% der Bevölkerung gibt an, Aberglauben zu haben.Schwarze Katze Für viele Leute bedeutet es Pech, wenn eine schwarze Katze ihren Weg kreuzt. In der katholischen Religion ist die Farbe Schwarz ein negatives Symbol. Diese Farbe .. más

  • 25.05.2020 [Comentarios: 0]

    Coronavirus: Alarmzustand zum fünften Mal verlängert

    Corona-Massnahmen werden teilweise aufgehobenIm Staatsanzeiger wurde heute die Zustimmung des spanischen Kongresses zur fünften Verlängerung des Alarmzustands bis zum 07. Juni bekanntgemacht. Gleichzeitig werden Details zur Umsetzung des Vier-Phasen-Plans zur Lockerung der Beschränkungen geregelt. Zudem sollen die Fristen in Justiz un.. más

  • 22.05.2020 [Comentarios: 0]

    Coronavirus: Maskenpflicht in Spanien

    Die Beschränkungen infolge des Coronavirus werden in Spanien nach und nach gelockert. Dies gilt allerdings nicht für die Regelungen zur Hygiene und Prävention gegen den Virus. Ab sofort gilt als infektionsschützende Maßnahme eine allgemeine Maskenpflicht. Ab wann gilt die Maskenpflicht? Die Maskenpflicht gilt in Spanien landesweit ab .. más