SERIE: Bernardo Atxaga

13.04.2009 - Tanja Nause 

Manchmal stehen die interessanten Fragen ganz am Anfang. Denn was ist ein „spanischer Schriftsteller“? Nehmen wir Bernardo Atxaga, zum Beispiel. 1951 als Joseba Irazu Garmendia in Asteasua in der baskischen Provinz Guipúzcoa geboren, begann er in den siebziger Jahren seine literarische Karriere – unter Pseudonym und auf Baskisch. Gemeinsam mit anderen baskischen Schriftstellern, namentlich Gabriel Aresti (1933-1975), setzte sich Atxaga vehement für die Erneuerung der baskischen Sprache, des „Euskara batúa“ (also des geschriebenen, einheitlichen Baskisch) ein. Eigentlich, so müsste man genauer sagen, ist Bernardo Atxaga ein baskischer Schriftsteller. Ein vielgerühmter, vielgelobter, vielgelesener baskischer Schriftsteller. Der, der am meisten in andere Sprachen, auch ins Deutsche, übersetzt wurde.

International bekannt wurde Atxaga 1988 mit dem preisgekrönten Roman „Obabakoak“, der inzwischen in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde und für den er 1989 den spanischen Nationalpreis für Literatur erhielt. In dem Roman geht es vor allem um das Erzählen selbst: die Bewohner des (erfundenen) baskischen Orts Obaba geben ihre Geschichten, ihre Erinnerungen – oft unterstützt durch Briefe und ähnliche Dokumente – geben also ihre Geschichte preis. Und so unterschiedlich die Erzählungen auch ausfallen – auf geheime Weise sind sie letztlich meisterlich miteinander verwoben (2005 verfilmt als „Obaba“ in der Regie von Montxo Armendáriz). 1991 erschien „Obabakoak“ in einer Übersetzung aus dem Spanischen von Giò Waeckerlin Induni auf Deutsch (seit 1995 als Taschenbuch im Unionsverlag).

1995 brachte der Altberliner Verlag die „Memoiren einer baskischen Kuh“ (aus dem Baskischen von Ludger Mees) heraus. Es handelt sich eigentlich um ein Kinderbuch (ab 10/12). Aus der Sicht einer memoirenschreibenden Kuh werden die Ereignisse auf einem baskischen Bauernhof am Ende des spanischen Bürgerkriegs geschildert. Mo und ihre Freundin, La Vache qui Rit, praktizieren auf höchst amüsante Weise den „knochenharten Sport des logischen Denkens“. Aus den geheimnisvollen Vorgängen, die sie beobachten, ziehen sie ihre erhellenden Schlüsse. Welch wichtige Rolle die Kühe dabei selbst spielen, wird ihnen – und dem Leser – erst am Ende klar. Zu den weiteren ins Deutsche übersetzten Kinderbüchern Atxagas gehören „Shola und die Löwen“ (1997), „Shola und die Wildschweine“ (1998), „Bambulos wahre Lügengeschichten“ (2000) und „Bambulo auf den Hund gekommen“ (2000) – alle im Altberliner Verlag.

Die folgenden drei großen Romane Atxagas, „Ein Mann allein“ („Gizona bere bakardadean“, „El hombre solo“, 1993; aus dem Spanischen von Giò Waeckerlin Induni, 1997), „Fenster zum Himmel“ („Zeru horiek“, „Esos cielos“, 1995; aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen, 1999) und „Der Sohn des Akkordeonspielers“ („Soinujolearen Semea“, „El hijo del acordeonista“, 2003; aus dem Spanischen von Matthias Strobel, 2006) wenden sich dann der Thematik zu, die Bernardo Atxaga so sehr umgetrieben hat: der baskischen Geschichte und vor allem der politischen Militanz im Baskenland. Das politische Engagement Atxagas entspringt dabei zum großen Teil seiner eigenen Biographie. Nach eigenen Auskünften machten 30 seiner 45 Schulkameraden mit Polizei und Haft Bekanntschaft, verloren zwei von ihnen ihr Leben und mussten seine beiden Brüder Zeit im Gefängnis verbringen (NZZ vom 14.4.1997).

„Ein Mann allein“ ist das Porträt eines ehemaligen ETA-Aktivisten, dem 1982 (der Roman spielt während der Fußballweltmeisterschaft) seine politischen Ideale schon weitgehend abhanden gekommen sind. Dass er schließlich zwei Terroristen Hilfestellung bietet, beruht weniger auf seiner politischen Überzeugung, als vielmehr auf Gefühlen von persönlicher Schuld und Resignation. In „Fenster zum Himmel“ erinnert sich eine ehemalige Aktivistin, die gerade aus der Haft entlassen wurde, auf ihrer Heimreise ins Baskenland an ihr Leben als militante Kämpferin. Und auch „Der Sohn des Akkordeonspielers“ fragt, wie zwei junge Männer aus einem idyllischen baskischen Dorf zu Terroristen der ETA werden konnten.

An das Erscheinen dieses letzten Buchs knüpfte sich übrigens ein kleiner Skandal, als in der Kulturbeilage der Zeitung „El País“, „Babelia“, in der Atxaga sonst normalerweise gelobt wird (die spanischen Übersetzungen Atxagas erscheinen bei Alfaguara, einem Verlag, der wie „El País“ auch der Grupo PRISA angehört), eine höchst kritische Besprechung erschien. Der Rezensent bemängelte an „Der Sohn des Akkordeonspielers“ unter anderem, dass die Schilderungen des baskischen Dorflebens so minutiös und kitschig wären, dass dies auf Atxaga gar den Verdacht werfe, er sei vielleicht baskischer Nationalist. Der Kritiker Ignacio Echevarría und "El País" trennten sich daraufhin voneinander, was eine Solidarisierungswelle von 150 Schriftstellern und Kollegen mit dem Kritiker auslöste.

Doch nun – so scheint es – hat sich Bernardo Atxaga von all dem freigeschrieben. Sein neuer, noch druckfrischer Roman wendet sich ganz anderen Themen zu. In „Siete casas en Francia“ („Zazpi etxe Franzian“, 2009) geht es um eine Garnison zur Zeit der Herrschaft Leopolds II. von Belgien im Kongo (Leopold II. wurde der Kongo 1885 als Privatbesitz zugesprochen), und um die in dieser Zeit verübten Verbrechen an den Kongolesen – also das, was gemeinhin als „Kongogräuel“ bekannt wurde. Die Handlung ist im Jahr 1903 angesiedelt, einer Zeit, als die Verbrechen international bereits bekannt wurden. Greifbar wird die Geschichte an den täglichen Vorgängen in der Garnison Yangambi – und einem Brief, den der Garnisonshauptmann von seiner Frau erhält und in dem sie ihren Gatten auffordert, Geld für eben jene „sieben Häuser in Frankreich“ zu senden. In der „Babelia“ vom 28. März hat Atxagas neuer Roman positive Aufnahme gefunden. Nach seinen eigenen Worten sei der Autor mehr als erleichtert gewesen, nun einen Roman jenseits der baskischen Realität geschrieben zu haben: „Ha sido una liberación alejarse de la realidad vasca. Como escritor ya he contado todo lo que debía de la parte más terrible de nuestra historia. Ahora soy uno más...“ – ja, vielleicht ist Atxaga doch das, was der Serientitel uns vorgibt: ein wirklich „spanischer“ Schriftsteller.

Bernardo Atxaga: www.atxaga.org

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