HINTERGRUND: Ins Meer der Gefühle

20.10.2008 - Isabelle Birambaux 

Vollmond, das neueste Tanzstück von Pina Bausch (siehe Foto), gezeigt im San Lorenzo del Escorial, hat nicht verfehlt, was der Titel versprochen hat. Der Vollmond von Pina Bausch ruft die geheimnisvolle Kraft des Mondes und starke Emotionen auf. Und es gelingt der deutschen Choreographin aus Wuppertal, während des zweieinhalb Stunden dauernden Tanzspektakels den magischen Einfluss des Vollmonds auf Menschen, auf die Gefühle und auf die Naturgewalten auf einer sehr ausdruckstarken Weise darzustellen.

Der Vollmond hat immer die Menschen fasziniert: Er tritt öfters in Sagen und Märchen auf und wird mit Gefühlsschwankungen und verrücktspielenden Menschen assoziiert. Und in Bauschs Vollmond spielen sechs männliche und weibliche Tänzer auf der Bühne in einem frenetischen, fast extatischen Wasserrausch verrückt. In Bilderfolgen, die ineinander überflieβen, stellt die deutsche Ikone der modernen Choreographie Gefühlszustände und Menschenbeziehungen dar und erzeugt bei den Zuschauern ein Meer der Gefühle.

Aber Bausch spielt nicht nur auf den Einfluss des Mondes auf die Emotionen an, sondern auf die Kraft des Mondes auf die Ozeane. Das Wasser, ein zentrales Element in diesem Werk, wird vom Mond an- und weggezogen, wodurch Ebbe und Flut entstehen und er damit auch für ein Auf- und Ab der Gefühle verantwortlich ist. Bausch spielt in diesem Stück mit den Naturgegensätzen und stellt sie in einer engen Beziehung zusammen: männlich/weiblich, Wasser/Feuer, Heiterkeit/Traurigkeit, Helligkeit/Dunkelheit, flüssig/fest, überlegen/unterlegen, zerstörerisch/lebensspendend.

In dieser Wechselbeziehung zwischen den Elementen gewinnt das Leben und die positive Kräfte die Oberhand. Durch das Wasser entsteht Heiterkeit und eine sprudelnde Energie füllt die Bühne: Dadurch werden alle negativen und zerstörerischen Kräfte ausgeschaltet, das scheint Bausch den Zuschauern zu zuflüstern. Sogar das Feuer wird gegen die Macht des Wassers ohnmächtig.
Kraftvolle Bilder und die Ausdruckskraft der einzelnen Tänzer lassen den Zuschauern atemlos. 12 Tänzer aus verschiedenen Ländern entblöβen dem Publikum ihre eigene Persönlichkeit auf verblüffende Weise. Jedes Detail wird in Szene gesetzt: Körper, Stoffe und Farbe der eleganten Kleider, die dunklen, langen Haare der asiatischen Tänzerinnen werden als visuelles Mittel eingesetzt, um Wasserfontänen darzustellen.

Diese tänzerischen Bilderfolgen sprechen von der Beziehung zwischen Mann und Frau, von der Widersprüchlickeit ihres Verlangens nach Liebe. "Was ist besser? Eine groβe Liebe, alles auf einmal oder lieber ein bisschen Liebe jeden Tag?", fragt Nazareth Panadero, die einzige spanische Tänzerin des Pina-Bauschs Ensembles im Wuppertaler Tanztheater.

Im ersten Teil werden die Frauen als selbstbestimmend und stark dargestellt. Sie sind diejenigen, die den Männern befehlen und lassen sich bedienen. Im zweiten Teil werden dagegen die dunklen Seiten der Mann-Frauen Beziehungen beleuchtet: Szenen von Geschlechter-Gewalt, die von den Frauen ohne Abwehr hingenommen werden, lösen starke Emotionen aus. Auf ganz ausdrucksvolle Weise zeigt sie die verselbstständigende Dynamik solcher Beziehungen und die Unmöglichkeit, diesen Kreis zu durchbrechen, trotz externer Intervention.

Jedoch trotz der Anspielung auf ein sehr sensibles Sozialproblem wird niemand an den Pranger gestellt, da Bausch die Gegensätze als Teil eines Ganzen darstellt. Durch den frenetischen Rhythmus des Wasserrauschs löst sich die Negativität und endet in einem jubelnben Applaus eines tief bewegten Publikums.

Heute Sonntag noch um 19 Uhr im Teatro/Auditorio San Lorenzo de El Escorial zu bewundern. Siehe auch Veranstaltungskalender.

Kommentare (0) :

Artikel kommentieren
Artikel-Archiv
  • 20.10.2023 [Kommentare: 0]

    Das Festival "Cine por Mujeres Madrid" rückt deutsche Filmemacherinnen ins Rampenlicht

    Die VI. Ausgabe des Festivals "Cine por Mujeres Madrid" bringt die lebendige Welt des deutschen Kinos auf die Bühne der spanischen Filmszene. Mit einem klaren Fokus auf das Können von Frauen in der deutschen Filmindustrie zielt das diesjährige Festival darauf ab, kulturelle Unterschiede zu überbrücken, den Dialog zu fördern und die .. Artikel weiterlesen

  • 12.06.2023 [Kommentare: 0]

    Das German Film Fest Madrid setzt in seiner neuen Ausgabe auf weibliche Autorschaft

    Das 25. German Film Fest Madrid hat in seiner neuen Ausgabe deutlich auf weibliche Autorinnen gesetzt. Mit fünf von insgesamt sechs Projekten wurde praktisch eine Vollbesetzung weiblicher Regisseurinnen erreicht. Vom 14. bis 18. Juni präsentiert das Festival im Kino Embajadores einen Überblick über die neuen Trends des deutschen Films, da.. Artikel weiterlesen

  • 28.10.2022 [Kommentare: 0]

    ALCINE, das Kurzfilmfestival in Alcalá de Henares

    ALCINE wird seit 1983 in der kleinen Universitätsstadt Alcalá de Henares gefeiert, die nur 30 km unweit von Madrid entfernt ist. Viele Filmkarrieren bedeutender spanischer Regisseure und Regisseurinnen wie u.a. Alejandro Amenábar, Isabel Cuchet und Fernando Leon de Aranoa haben hier begonnen. Das Filmfestival ACLINE von Alcalá de .. Artikel weiterlesen

  • 20.04.2022 [Kommentare: 0]

    Die neuesten spanischen TV-Serien

    Spanische Serien, ob Drama, Thriller oder Komödie, haben die letzten Jahre stark an Popularität gewonnen, auch auf internationaler Ebene. Wir haben eine Auswahl von Serienpremieren zusammengestellt, die 2022 auf Amazon Prime Video, Atresplayer, Movistar+ und Netflix zu sehen sind oder sein werden. Ideal auch um sie auf Spanisch zu sehen, .. Artikel weiterlesen

  • 18.11.2020 [Kommentare: 0]

    The Human Voice, von Pedro Almodóvar: erfolgreichster Kurzfilm Spaniens

    Unter der Regie von Pedro Almodóvar und mit Tilda Swinton in der Hauptrolle wird „The Human Voice“ zum erfolgreichsten Kurzfilm in der Geschichte Spaniens. Seit seiner Kinopremiere am vergangenen 21. Oktober hat er bereits mehr als 30.000 Zuschauer und 120.000 Euro Einnahmen erzielt. Der 30 Minuten lange Film basiert auf dem gleichnamige.. Artikel weiterlesen

  • 25.11.2019 [Kommentare: 0]

    Der Broadway in Málaga: Antonio Banderas neues Musical „A Chorus Line“

    Vorletzte Woche eröffnete der Schauspieler Antonio Banderas das neue Theater Soho Caixabank in Málaga, welches er seiner Heimatstadt Málaga gestiftet hat. Dabei stand er selbst im Mittelpunkt; er spielte und tanzte am Freitag bei der Premiere des Musicals „A Chorus Line“ mit. Das Musical ist eine exakte Nachbildung des Originals, welches.. Artikel weiterlesen

  • 11.11.2019 [Kommentare: 0]

    Theater in Madrid für 10 Euro oder weniger

    Wer sagt denn, dass ein Theaterbesuch in Madrid teuer sein muss? Die alternativen Theatersäle in Madrid bieten qualitativ hochwertige Theaterkost zu erschwinglichen Preisen an. Tagsüber können auch Kinder von dem Low-cost-Vergnügen profitieren, da viele Theater auch Kinderinszenierungen anbieten. Das sind einige Bühnen die für viele.. Artikel weiterlesen

  • 03.06.2019 [Kommentare: 0]

    ¿Dónde estabas entonces? - Fernsehserie zur jüngsten Geschichte Spaniens

    Was geschah im Jahr der ersten demokratischen Wahlen Spaniens? Was bewegte die Menschen 1983? Wer verschwand auf wundersame Weise im Jahr 1995? Und was davon prägt die spanische Gesellschaft bis heute? “Wo warst du damals?” - so heißt die Sendung, die jeden Donnerstag um 22.30 Uhr auf dem Kanal La Sexta ausgestrahlt wurde. Die.. Artikel weiterlesen

  • 05.03.2019 [Kommentare: 0]

    Das Año Lorca - Madrid feiert das 100-jährige Jubiläum

    Año Lorca. Mit dem “Año Lorca” feiert Madrid dieses Jahr die Ankunft des Poeten Federico García Lorca in der Hauptstadt mit insgesamt 20 kulturellen Veranstaltungen. Vor 100 Jahren kam der wohl bekannteste Poet Spaniens nach Madrid. Der Lyriker und Dramatiker gehörte der Generación del 27 an und trug bedeutend zur Modernisierung des .. Artikel weiterlesen

  • 01.04.2018 [Kommentare: 0]

    Der erste Indoor-Themenpark 'Lionsgate Entertainment City' in Madrid für 2020 geplant

    Andrenalin pur und Emotionen der Blockbuster Filme der letzten Jahre können ab 2020 in dem neuen Indoor-Themenpark “Lionsgate Entertainment City“ in Madrid erlebt werden. Dies ist der erste Indoorpark in Europa; eine Kooperation zwischen Parques Reunidos und dem US-amerikanischen Medienunternehmen Lionsgate. 2019 wird der gleiche Park.. Artikel weiterlesen