Skype und die Liebe

11.11.2015 - Karin Sommer 

Manchmal stelle ich mir vor, dass ich eine ganz normale Grossmutter wäre. Ich würde um mindestens zehn Jahre älter sein und in der Nähe meiner wunderbaren Enkeltochter Nell leben. Meine Freunde wären auch entspannte Grosseltern, die Zeit zum Kaffee trinken hätten, und nicht gestresste Eltern von kleinen Kindern.

 

Statt allein am Mont JuÏc würde ich am Tegernsee im beschaulichen Bayern mit Nell am See spazierengehen.

 

Stattdessen sitze ich vor dem Bildschirm und sehe ihr dabei zu, wie sie sich die Augen zuhält und frage zum 50. Mal, wo Nell ist, weil ich sie so gerne lachen höre. Das geht eine Weile so, aber dann läuft sie weg und hat natürlich etwas Besseres zu tun, als in einen Bildschirm zu starren.

 

Ich verstehe sie nur zu gut. Meine Beziehung zu Skype ist eine Hassliebe.  Die vielen dankbaren Momente helfen nichts in den Sekunden, in denen ich mir nichts mehr wünsche, als meinen Computer gegen die Wand zu schmeissen, in der Hoffnung, dass der  Mensch, den ich sehe, aber nicht berühren kann,  aus dem Bildschirm in mein Wohnzimmer krabbelt.

 

Vielleicht schreib ich ihr einen Brief.

 

Seit Jahren habe ich keine Briefe mehr geschrieben. Wozu auch? Bei all den mails und chats schreibe ich ja schon mehr als genug und fühle mich mit vielen Menschen in verschiedensten Ländern verbunden.

 

Wann habe ich den letzten Brief bekommen? Handgeschrieben, an mich adressiert; Fast unvorstellbar, dass sich jemand die Zeit nimmt, das Briefpapier zu kaufen, sich hinzusetzen und zu schreiben, die Marke zu besorgen und dann einen der wenigen noch existierenden Briefkästen sucht.

 

Insofern wird die Tatsache, einen Brief zu schreiben, schon eine Liebeserklärung an sich. Eine neue Möglichkeit, Liebe auszudrücken, mit alten Mitteln. Das klingt verlockend. Das freut die romantische Seite in mir, die sehnsuchtsvoll an alte Zeiten denkt, in denen Liebeserklärungen Monate brauchten, bis die geliebte Person sich an ihnen freuen konnte und nicht bloss zwei Sekunden. Ich gehe also fast hüpfend vor Vorfreude  in´s Papiergeschäft.

 

Ich finde auch eines der langsam vereinsamenden gelben Dinger, die auf den Gehsteigen leben und Briefe und Karten verschlingen.  Ich werfe ihn ein, meinen Brief. Lustig ist er geworden, mit eher armseligen Zeichnungen, primitiven Bastelversuchen, farbigen Buchstaben und einer einfachen Geschichte– über Hugo, den Hund, der mich mit seinem Flugzeug von Barcelona nach Bad Wiessee fliegt.

 

Ich bin eine fast normale Grossmutter. Ich wohne in einem fernen Land, das mein Leben in den letzten 10 Jahren unglaublich bunt hat werden lassen; das mir viel gelehrt hat darüber, was es bedeutet, Mensch zu sein. Es hat mich räumlich entfernt von den Menschen, die ich am meisten liebe und mich ihnen im Herzen näher gebracht. Hugo, der Hund meint, das ist ganz in Ordnung so.

 

 

Karin Sommer ist Österreicherin und lebt seit 10 Jahren in Barcelona. Sie lehrt Menschen, ihr Leben mit Freude zu leben.  Mehr von ihr unter www.karinsommerbcn.com

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