06.09.2021 - Alma Moser, Kinder- und Jugendpsychiaterin bei Sinews Multilingual Therapy Institute
Im Dezember habe ich Ihnen von den Auswirkungen des Coronavirus bei Erwachsenen erzählt. Heute werde ich ganz speziell von den Kindern und Jugendlichen berichten, die ganz besonders an dieser Pandemie und ihren drastischen Einschränkungen leiden.
Als Psychiaterin für Kinder- und Jugendliche, kann ich Ihnen aus erster Hand berichten, dass es unserer Jugend nicht gut geht. Sie werden oft „die Vergessenen der Pandemie“ genannt und so fühlt es sich an. Sie werden als Risikofaktoren für die Übertragung gesehen, sind isoliert zu Hause und vom Schul- und Betreuungssystem abgeriegelt.
Wir, als Erwachsene, begreifen zunächst schwer was vor sich geht und welche Maßnahmen umgesetzt werden müssen. Nun stellen Sie sich die Kinder und Jugendlichen vor.
Auf einmal können sie nicht mehr in den Kindergarten oder in die Schule gehen, alle Hobbys sind abgesagt, Sportvereine geschlossen, Geburtstage abgesagt etc. Kinder folgen von einem Tag auf den anderen nicht mehr ihrem täglichen Rhythmus, und in Spanien dürfen sie zunächst sogar ihre Wohnungen oder Häuser nicht verlassen. Kinder und Jugendliche, die schon vor der Pandemie psychische und medizinische Hilfe gebraucht haben, sind jetzt auf sich allein gestellt, oder zumindest so lange bis die Onlinesprechstunden verfügbar werden.
Auch für die Jugendlichen ist der Lockdown und die Pandemie besonders hart, sie haben keinen Rückzugsort mehr, sind fürs Lernen auf sich allein gestellt und v.a. von ihren Freunden getrennt. Immer mehr passiert vor dem Bildschirm. In einem Entwicklungsstadium, indem sie von ihren Eltern unabhängig sein wollen und viel auf Freunde zählen, treffen sie diese Maßnahmen sehr hart.
Man kann sich sehr gut vorstellen, was für eine Umstellung dies in einer Familie bedeutet, wo vielleicht sogar beide Eltern im Homeoffice arbeiten und mehrere Kinder betreut werden müssen! Oder ein oder beide Elternteile den Job verloren haben oder Kurzarbeit beantragen müssen. Und das Ganze ohne die Hilfe von den Großeltern oder anderen Vertrauenspersonen, da sie oft zu Risikogruppen gehören. Die technischen und räumlichen Ausstattungen erschweren die Bedingungen oft, v.a. in Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status.
Und je länger die Einschränkungen, die Ungewissheit und die Bedrohung dauern, desto mehr leiden die Kinder.
Die COPSY Studie zeigt, dass die Kinder zunächst über Angstzustände und Depression klagen, die sich durch die familiäre Stressbelastung verstärken. Zusätzlich entwickelten Kinder und Jugendliche emotionale (z.B. übermäßige Sorge für Familie und Angehörige oder Traurigkeit) und psychosomatische Symptome (z.B. unerklärliche Kopfschmerzen, Bauchschmerzen etc.). Natürlich gibt es leider auch die Familien, die so überfordert sind, dass die Streit- und Gewaltbereitschaft zunimmt.
Die Nachfrage nach Therapeuten und Psychiatern ist fast um das doppelte gestiegen, wie auch die Anzahl an aufgenommenen Notfällen. Besonders häufig sind Zwangs- und Essstörungen bei Jugendlichen. Diese Patienten verschaffen sich Sicherheit, in dem sie angesichts der allgegenwärtigen Bedrohung durch die Pandemie einzelne Bereiche kontrollieren - zum Beispiel das Essen.
Das Blatt hat sich nun im Vergleich zum Anfang der Pandemie gewendet: In Deutschland sind die Maßnahmen aktuell wesentlich strenger als in Spanien, v.a. in Madrid, obwohl die Infektionszahlen ähnlich sind. Madrid ist also zu einer Oase geworden, wo man auf einen Spielplatz gehen kann, in einem Café und Restaurant essen kann und die Läden, Schulen und Betreuungssysteme (und Frisöre) weitgehend offen sind. So kehrt hier in Madrid ein Hauch von Normalität ein. Die Kinder sind an Masken und Desinfektionsmittel gewöhnt, manche kennen schließlich nichts anderes.
In unserer Praxis arbeiten wir natürlich auch mit Kindern und Jugendlichen. Wir haben für sie Gruppen gegründet, damit die sozialen Kontakte beibehalten werden und sich die Kinder und Jugendlichen austauschen können. Schwierige Zeiten erfordern kreative Lösungen und wir arbeiten daran die Kinder und ihre Eltern bestmöglich zu unterstützen.
Tipps für Eltern während des Shutdowns
- Beruhigung und Kommunikation: Der Krankheitsverlauf für Kinder ist meistens sehr mild und nicht gefährlich, weil Kinder selten stark erkranken. Kinder bekommen oft Angst, weil sie viel mit dem Tod konfrontiert sind. Es ist daher wichtig sie zu beruhigen und viel Raum für Fragen zu lassen. Erklärungen können auch mithilfe von Büchern, Bildern und Zeichnungen verdeutlicht werden.
- Vernetzen über Medien: Es geht fast nicht anders, denn die Schule läuft so ab und die sozialen Kontakte werden so gepflegt. Natürlich muss man einen Blick auf Qualität und Quantität haben. Viele Museen, Sportler und Kinderprogramme haben ihre Sendungen und Ausstellungen zur Verfügung gestellt, sodass man sie kreativ nutzen kann. Zudem gibt es nun digitale Geburtstags- und Familienfeiern. Manche Großeltern lesen per Zuschaltung vor, singen oder essen zusammen.
- Sich mit den Kindern beschäftigen: Kindergartenkinder brauchen Betreuung rund um die Uhr. Es ist wichtig den Kindern und Jugendlichen eine Struktur zu geben, einen Tagesablauf beizubehalten und Zeit für jedes Kind auszumachen. Dieses gibt ihnen Stabilität und ein Sicherheitsgefühl.
- Spazieren gehen, herumtoben und frische Luft schnappen ist für Kinder und für Eltern sehr wichtig.
- Positiv bleiben und dem Alltag mit Humor begegnen. Manchmal einfach die Nachrichten ausschalten, denn sie vermitteln Angst und Ungewissheit, die den Erwachsenen und den Kindern zusetzt.
Ich möchte natürlich auch betonen, dass Kinder und Jugendliche sehr flexibel sind und ihre eigenen Ressourcen und Adaptationsfähigkeiten haben. Sie können sich viel besser anpassen als man denkt, wenn man ihnen die Sachen erklärt und sie in ihren Gefühlen begleitet. Die Folgen werden uns natürlich noch viele Jahre begleiten, aber die Kinder werden auch aus dieser schwierigen Zeit viel mitnehmen und lernen. Das hängt natürlich auch davon ab, wie die Erwachsenen ihnen das vorgemacht haben und diese Zeit erlebt haben.
Die langfristigen psychischen Auswirkungen und intellektuellen Folgen eines chaotischen Schuljahrs während einer Pandemie werden wohl erst in 10-15 Jahren richtig zu erkennen sein.
Zum Schluss können wir nur hoffen, dass diese Pandemie sich so langsam dem Ende zuneigt und zumindest die sozialen Kontakte wieder ermöglicht werden.
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