Die Liebe auf den zweiten Blick

21.02.2011 - Chandrika Dube - Erasmusstudentin in Madrid 

Warum ich mich dazu entschieden habe, mein Auslandssemester in Madrid zu machen und nicht in Barcelona oder Lissabon, welche ja auch Großstädte sind und dazu noch am Meer, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Es war eine Kurzschluss-Entscheidung. Als ich im September ankam, musste alles schnell gehen: Wohnungssuche, ohne wirklich zu wissen, wo denn die angesagten Viertel in Madrid genau liegen, an der Uni einschreiben und und und....

In meinem Lieblingsviertel, Lavapies, habe ich mich schnell zurechtgefunden und wohl gefühlt, an der Uni war es da schon komplizierter. Die Organisation an der Uni lief nach dem Motto: mañana mañana...entweder hatten die Angestellten aus dem Erasmus-Büro gerade Siesta oder das Büro war an dem besagten Tag nicht geöffnet.
Zu guter letzt hat dann doch noch alles geklappt, ich habe meine Uni-Kurse alle bekommen und war begeistert von der Umsetzung und wie passioniert die Dozenten ihren Unterricht gehalten haben. In Deutschland, wo ich normalerweise studiere, ist man an Seminare gewöhnt, in denen der Dozent den Studierenden den Inhalt des Semesterplans kurz erklärt und dann ist die Eigeninitiative der Lernenden gefragt.

Hier läuft das ein wenig anders ab. Zu 90 Prozent redet der Dozent und die Studierenden dürfen sich zwischendurch auch mal zu Wort melden. Allerdings muss ich erwähnen, dass dieser, in Deutschland würde man ihn „Frontalunterricht“ nennen, sehr intensiv und sehr interessant gestaltet wird, sodass man am Ende jeden Unterrichts wissen will, wie es denn nun weitergeht. Der Unterricht an spanischen Universitäten gleicht eher dem deutschen Schulsystem, allerdings herrscht selten Anwesenheitspflicht.

Läuft man durch die Fakultätsgebäude, besonders durch die der Geisteswissenschaften, hat man das Gefühl, dass absolute Autonomie an der Uni herrscht. Trotz Verbots wird schon am Vormittag getrunken und geraucht. Für die jungen Menschen in Spanien ist die Uni „the place to be“. Anders als in Deutschland, wo es schon an der Regel ist, dass Studenten neben der Uni arbeiten und sich höchstens mal auf einen Cafe zwischen den Kursen an der Uni treffen, sind spanische Studenten von morgens bis abends an der Uni und dann auch eher zum Spaß und um Freunde zu treffen.

Ein Grund, warum sich die Studenten hier auch gerne und lange an der Uni aufhalten, ist, dass der Großteil noch zu Hause wohnt und dadurch nicht die Möglichkeit hat Freunde zu sich nach Hause einzuladen und somit wird der Treffpunkt eben an die Uni verlagert.

In Deutschland lebt man eher individualistisch; häufig geht man nach dem Abitur für ein Jahr ins Ausland, um zu reisen, ein freies soziales Jahr oder ein freies ökonomisches Jahr zu absolvieren, na und eben um möglichst weit weg von zu Hause zu sein. Danach fangen die meisten oft an zu studieren, in anderen Städten als dort, wo sie aufgewachsen sind und ziehen in eine Wohngemeinschaft.
 
Dort wohnt man mit Gleichaltrigen zusammen, hat Platz, um sich auszutoben und bringt sich selbst bei, wie man als Erwachsener so lebt. Es wird nicht mehr durch die Eltern kontrolliert, wann man abends nach Hause kommt, ob man nach Hause kommt und mit wem und wie man seine Freizeit verbringt. Jeder möchte sich ausprobieren und vielen Studenten reicht die Unterstützung, entweder durch Bafög oder durch die Eltern nicht, sodass sie neben der Uni arbeiten gehen.

In Spanien hingegen leben viele noch bis zu ihrem 30. Lebensjahr oder manchmal sogar noch länger bei ihren Eltern, die auch nicht selten davor zurückschrecken in das Leben ihrer Kinder einzugreifen und für sie Entscheidungen zu fällen. Ich würde sagen, dass beides seine Vor- und Nachteile hat. Zum ersten Mal unabhängig von seinen Eltern zu leben, ist ein verdammt gutes Gefühl, andererseits und das habe ich bei einigen Freundinnen und Komilitoninen mitbekommen, die jung ein Kind bekommen haben und im Zweifelsfall noch alleinerziehend waren und nicht mehr bei ihren Eltern gelebt haben, kann es auch ganz schön anstrengend sein. Denn man möchte nur aus diesem Grund auch nicht mehr bei seinen Eltern einziehen: Man hat sich schon so sehr daran gewöhnt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und verzichtet lieber auf gute Ratschläge der älteren Generation. In Spanien ist es selbstverständlich, dass in diesem Fall die Oma zu Rate gezogen wird, die man dann wieder rund um die Uhr um sich hat.

Der Familienhalt ist den Spaniern sehr wichtig und wenn jemand eine Entscheidung für einen fällen darf, dann die eigenen Eltern. Generell sind die Spanier gerne in Gesellschaft – das merkt man schon, wenn man morgens zum Cafe in eine typisch spansiche Spelunke geht. Selten gibt es Coffe-to-go-Becher, wohin der Trend in Deutschland und in nordeuropäischen Ländern oft geht. Man trinkt seinen Cafe an der Bar, zwischen vielen anderen Cafetrinkern - schnell und stark - aber immerhin in Gesellschaft! Abends nach der Uni oder nach der Arbeit treffen sich die Leute, jung und alt, auf eine Clara (Radler), eine Cerveza (Bier) oder eine Tapa (eine Kleinigkeit zu essen). In Deutschland macht man das zwar auch.

Allerdings sind das dann eher die Jungen und man trifft sich auch nicht jeden Abend. Die Bars in Spanien, und vor allem in Madrid, sind abends, auch unter der Woche, überfüllt. Zum Großteil mit jüngeren Menschen, aber es gehen auch die Älteren raus und teilweise in die gleichen Bars und Cafes wie die Jungen. Dieses Phänomen ist in Deutschland eher selten anzutreffen. Man bleibt ab einem gewissen Alter eher in Ruhe zu Hause.

Vergleicht man spanische und deutsche Restaurants fällt als erstes neben den weggeworfenen Papierchen, die sich auf dem Boden sammeln auf, dass es in spanischen Restaurants und Bars viel mehr Tische und auch viel mehr besetzte Tische gibt als in Deutschland. Madrid hat aber natürlich auch neben der ganzen Esskultur noch ein großes Angebot an Kultur.

Es gibt unglaublich viele Theater, die gut besucht sind (das sieht man an den ewig langen Schlangen vor den Theatern) und den meist ausverkauften Stücken. Dazu ist es auch noch bezahlbar für Studenten. Es gibt auch einige alternative Zentren in Madrid, wie die Tabacalera, die alte Tabakfabrik oder die Casablanca in Lavapies, im Süden Madrids. Dort gibt es oft Konzerte, aber es werden auch viele Kurse angeboten. Diese reichen von afrikanischen Trommelkursen, über Yoga, Street-art, bis zu einem kostenlosen Kindergarten. Die Leute, die dort arbeiten, arbeiten umsonst und gerne! Niemand ist zu etwas verpflichtet, jeder kann sich freiwillig melden und einen Kurs anbieten.

Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, sich an der Uni zurechtzufinden und obwohl Madrid kein Meer um die Ecke hat, ist Madrid eine meiner Lieblingsstädte in Spanien geworden. Ich kann jedem nur raten, sich mal nach Madrid zu begeben, und sich treiben und mitreißen zu lassen von dieser tollen Stadt, die natürlich auch und gerade durch die unterschiedlichsten Menschen die hier wohnen so bunt und lebendig ist!

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