HINTERGRUND: Das Spiel mit den Zahlen

12.07.2013 - Philipp Dyckerhoff, pd@pecuniaconsult.com 

Unsere Welt ist komplex und viele Zusammenhänge, gerade auch im wirtschaftlichen Umfeld, kann der Laie schwer erfassen. Die Medien sollten eigentlich informieren und die Menschen unterstützen, sich eine Meinung bilden zu können. Leider werfen die Medien in vielen Fällen mit Zahlen um sich, die aus dem Zusammenhang gerissen oder ohne ordentliche Analyse zu falschen Schlussfolgerungen führen. Wichtig für das Verständnis unserer gesellschaftlichen Herausforderungen und deren Lösungen ist aber gerade das richtige Verständnis von Fundamentaldaten. Dies wird im Folgenden anhand zweier Beispiele veranschaulicht.


Ein „gutes schlechtes“ Beispiel – Veröffentlichung der Zahlen zum Netto-Vermögen verschiedener EU-Länder im Frühjahr 2013

„Spanier reicher als Deutsche“ und „In den Euro-Krisenländern Spanien und Italien liegen unangetastete große Privatvermögen - während die Staaten deutsche Steuerhilfe erhalten. In Deutschland dagegen fallen die Vermögen der privaten Haushalte kleiner aus.“ Und weiter: „Demnach liegt das mittlere Haushaltsvermögen (Median) bei 51.400 Euro. In Frankreich ist das Vermögen mehr als doppelt, in Spanien und Italien mehr als dreimal so hoch. Immobilienbesitz ist mit eingerechnet.“

Solche Aussagen waren im März 2013 in der deutschen Presse zu lesen.

Hier nun die konkreten Zahlen dieser 3 Länder zum Nettovermögen:

                                    Median                                    Durchschnitt
Deutschland            51.400 Euro                           195.200 Euro
Frankreich                113.500 Euro                          229.300 Euro
Spanien                    178.300 Euro                          285.800 Euro

Der Durchschnitt dürfte allgemein bekannt sein, der Median wahrscheinlich weniger: er teilt eine Liste von aufsteigenden Werten in zwei Hälften gleicher Größe. Der Median ist der mittlere Wert dieser Liste, sagt also über das Vermögen eines Landes kaum etwas aus. Für diesen Vergleich wäre der Durchschnitt besser geeignet. Die Aussage aber, dass in Spanien das Vermögen gleich dreimal so hoch wie in Deutschland ist (siehe oben), ist schlichtweg falsch!

Diese „Fakten“ erwecken beim Leser bestimmte Emotionen oder Gedanken, vielleicht noch mehr Unverständnis dafür, dass in diesem Falle gerade Deutschland schon Vieles in Spanien mit finanziert hat, und nun das: „Die sind ja viel „reicher“ als wir Deutschen“.

Diese Zahlen relativieren sich zusätzlich, wenn man weiß, dass das Vermögen pro Haushalt angegeben wird, die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland etwas unter 2 Personen liegt und in Spanien bei knapp 3 Personen. Außerdem sind in der Erhebung der spanischen Daten Immobilienpreise von 2008 enthalten, also völlig unrealistische Werte. Wenn man auch diese beiden Punkte berücksichtigt, sieht das Bild schon ganz anders.

Es geht hier nicht darum, dagegen zu argumentieren, dass in Spanien viel Vermögen vorhanden ist, das sicherlich auch sinnvoll zur Lösung der gesellschaftlichen Herausforderungen des Landes beitragen könnte und dafür Steuergelder anderer Länder zu schonen. Es geht nur darum aufzuzeigen, dass Daten und Vergleiche mit großer Vorsicht zu genießen sind und bei Nichtbeachtung völlig falsche Meinungen daraus entstehen können.

Die Zitate stammen aus der Frankfurter Rundschau vom 22. März 2013 (online), andere Medien haben die Zahlen in ähnlicher Weise dargestellt. Die deutschen Zahlen beruhen auf einer Umfrage der Bundesbank in den Jahren 2010 und 2011. Die Zahlen der anderen Länder wurden von den jeweiligen Notenbanken erhoben. Diese Zahlen sind die Grundlage der Europäischen Zentralbank für eine Studie über den Reichtum in der Währungsunion. Diese Studie hat die EZB noch nicht veröffentlicht, weil die nationalen Daten noch geprüft und vergleichbar gemacht werden müssen. Immerhin!


Ein „gutes gutes“ Beispiel – Primärüberschuss

Viel wird in den Medien über den Zustand der einzelnen Volkswirtschaften der EU-Länder geschrieben: Verschuldung, Höhe der Zinszahlungen, Produktivität, Arbeitslosigkeit, usw. Wer kann diese Zahlen, die häufig verschiedene Aspekte vermischen, wirklich interpretieren?

Der deutsche Staatshaushalt erzielt strukturell einen Überschuss, wenn die Zinszahlungen nicht berücksichtigt werden. Dieser so genannte Primärüberschuss betrug in Deutschland 2,4 in 2012 des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Anhand dieser von den Zinszahlungen befreiten Zahlen kann man erkennen, ob der Staatshaushalt eines Landes an sich rentabel ist oder nicht.

In Spanien betrug das Primärdefizit für 2012 -7,9, also funktioniert das „Unternehmen“ Spanien derzeit nicht gerade rentabel. Anders ausgedrückt: selbst wenn dem Land alle Schulden sofort erlassen wären, hätte es 2012 ein Defizit von 7,9 erwirtschaftet.

Selbstkritischer Hinweis: um das Primärdefizit verschiedener Länder besser bewerten und vergleichen zu können, müsste man sich die Entwicklung über mehrere Jahre anschauen. Das ist aber nicht Ziel dieses Artikels. Hier geht es vielmehr darum den Sinn der Entkopplung von Zahlen zu verdeutlichen, die damit mehr Aussagekraft erlangen und einfacher interpretiert werden können.

Ein paar weitere Beispiele: Norwegen mit einem Primärüberschuss von 11,7 (2012) ist der Primus unter den Industrieländern. Überraschung Griechenland: es weist für 2012 ein Primärdefizit von 1,2 vor, Portugal - 0,8. Bei Italien waren es +2,3 und bei Irland -4,8.

Weiterhin interessant dürften die USA mit -6,4 und Japan mit -9,3 Primärdefizit für 2012 sein. Gerade die USA mit der größten Volkswirtschaft und dem größten Schuldenberg weltweit erwecken mit dieser Zahl nicht gerade Vertrauen.

Wenn die USA und Japan nicht von ihren Notenbanken die eigenen Staatsanleihen kaufen lassen würden, dann hätten sie gewaltige Finanzierungsprobleme. Das sollte einem auch zu denken geben in Bezug auf Geldanlagen in US$. Und Griechenland z.B. hat zwar einen riesigen Schuldenberg (über 100 des BIP) - aber immerhin läuft der Staatshaushalt scheinbar ganz vernünftig!

Die Zahlen stammen vom IWF (Quelle: Fiscal Monitor April 2013, International Monetary Fund). Dank geht an Michael Vaupel, durch dessen täglichen Newsletter „Traders Daily“, immer wieder mit vielen klaren Zahlen und Analysen zu Fundamentaldaten, der Autor auf das Thema Primärüberschuss aufmerksam wurde.

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