14.01.2015 - Eleonora Herder
Mein Name ist Eleonora Herder. Ich bin in Barcelona aufgewachsen und arbeite als freie Theaterregisseurin und Dramaturgin zwischen Barcelona und Deutschland. In Barcelona arbeite ich unter anderem am Gran Teatre del Liceo und seit einem halben Jahr als Dramaturgin des Regisseurs Àlex Rigola.
Meine hiesige Zusammenarbeit mit Rigola stellt insofern ein Experiment dar als dass es die Funktion des Dramaturgen, wie sie am deutschen Theater ausgeübt wird in Spanien so nicht gibt.
Es gibt für diesen Beruf im Spanischen noch nicht mal eine exakte Terminologie. Einer der wichtigsten Theatertheoretiker, Patrice Pavis, hat mal versucht den Beruf des deutschen Dramaturgen mit dem spanischen „dramaturgista“ zu übersetzten. Das ist meiner Meinung nach eine ganz gute Wortschöpfung.
Wenn in Spanien vom „dramaturgo“ die Rede ist, dann ist damit der Autor von dramatischen Texten gemeint, der einsam in seinem Kämmerchen Theaterstücke schreibt, die dann verlegt und aufgeführt werden.
Der Dramaturg im deutschen Sinne adaptiert und modifiziert Texte in Zusammenarbeit mit dem Regisseur und manchmal auch den Schauspielern. Oftmals geht es dabei zum Beispiel darum klassische Texte in eine zeitgenössischere Sprache zu übersetzen ohne die Essenz des Textes zu verlieren, damit die Schauspieler den Text natürlicher sprechen können, oder es geht darum einen Text, wie zum Beispiel einen Roman zu einem Bühnenstück umzuschreiben.
Der Dramaturg agiert dabei aber nicht ausschließlich als Schriftsteller, sondern als Anwalt des Textes und als Berater des Regisseurs, indem er Hintergrundinformationen recherchiert und vor allem immer wieder die künstlerischen Entscheidungen des Regisseurs kritisch hinterfragt und auf eine stückinterne Kohärenz prüft.
Für mich ist die Kritik eine der wichtigsten Funktionen. Ich fühle mich oft wie eine interne Kritikerin. Das ist nicht immer leicht. Kreative Prozesse sind sehr sensibel und man muss aufpassen Ideen nicht im Keim zu ersticken, indem man sie zu früh infrage stellt.
Der Beruf des Dramaturgen ist auch deshalb etwas schwierig zu definieren, weil die Aufgaben in jedem Prozess und in jeder neuen Zusammenarbeit völlig anders aussehen.
So werde ich mit Àlex Rigola beispielsweise drei sehr unterschiedliche Stücke erarbeiten. Zum einen erarbeiten wir eine Bühnenfassung des Briefromans „Incerta Glòria“ des katalanischen Schriftstellers Joan Sales, das am Teatre Nacional als eher klassisches Sprechtheaterstück aufgeführt werden wird. In diesem Falle ist meine Funktion eher die der Recherche von historischen Daten (das Stück spielt im spanischen Bürgerkrieg), sowie der Versuch einen kohärente szenische Entsprechung für diesen Text zu finden. Im Vordergrund steht dabei die Fragen wie ein Text, der nicht fürs Theater gedacht war adaptiert werden muss, welche szenische Form der literarischen Form am besten entspricht und was für eine aktuelle Relevanz diese Geschichte hat.
In einem weiteren Stück beschäftigen wir uns mit den Biografien von afrikanischen, nicht dokumentierten Migranten, die das spanische Festland in sogenannten Pateras (Fischerbooten) illegal erreicht haben.
In diesem Prozess geht es hauptsächlich darum Interviews zu führen, die politisch rechtliche Lage dieser Menschen zu erforschen und gemeinsam mit den Migranten ein professionelles Theaterstück zu erarbeiten, wo sie zwar einerseits als Laien auf der Bühne stehen, andererseits aber als Experten für die Situation der Flüchtlinge auftreten.
Das dritte Stück ist eine begehbare Installation, in welcher es voraussichtlich gar keine Darsteller geben wird und der Zuschauer die Geschichte selbst herausfinden muss. Jeder einzelne Prozess erfordert eine andere Form der Recherche, der Beratung und der künstlerischen Zusammenarbeit. Jeder Regisseur ist eine eigenen Welt, mit einem anderen Background, anderen Referenzen. Als Dramaturgin habe ich immer wieder neue Welten, die ich mir aneignen muss und darf und das macht die Arbeit so abwechslungsreich und interessant.
An der Zusammenarbeit mit Rigola ist spannend, dass es die Figur des „dramaturgista“ in Spanien ja wie gesagt nicht gibt und wir noch nicht wissen, wie die hiesigen Produktionsprozesse darauf reagieren werden.
Es gehört Mut dazu, dass Rigola in dem schwierigen Moment, in welchem sich das spanische Theater gerade wirtschaftlich und politisch befindet eine Arbeitsweise einführt, die nicht notgedrungen nach Parametern der Zeit- und Produktivitätsoptimierung funktioniert.
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