Alternative Schulen in Spanien

07.10.2019 - Laura Nadolski 

Die alternative Bildung kommt in Mode. Eltern sind auf der Suche nach neuen Methoden, die ihren Kindern mehr Respekt entgegenbringen, einen ganzheitlichen Ansatz bieten und die Familien mit einbeziehen. Vielleicht, weil die heutige Gesellschaft nach aktiven und teamfähigen Persönlichkeiten mit vielseitigen Fähigkeiten verlangt. Denn Bildung ist nicht nur das Anhäufen akademischen Wissens, sondern auch die Erziehung zum verantwortungsbewussten, kritischen und glücklichen Bürger. Was die Kinder in der Schule lernen ist auch das, was sie später an die Gesellschaft zurückgeben

In Deutschland sieht man diesen Trend schon seit einigen Jahren und es gibt viele Angebote an alternativen Schulen. Auch in Spanien beginnen viele Eltern, die traditionellen Schulsysteme infrage zu stellen. Sei es wegen der hohen Zahl der Schulabbrüche, schulischem Versagen der Kinder oder einem Mangel an Plätzen in staatlichen Einrichtungen.

 

Auch Almudena García hatte Zweifel am vorherrschenden Bildungssystem. Die gebürtige Madrilenin ist Mutter und Autorin eines Buches über alternative Erziehungsmöglichkeiten. Sie kreierte eine virtuelle Landkarte, in der alle Projekte alternativer Bildung in Spanien verzeichnet sind. Ihre Website Ludus bietet allen Interessierten einen Überblick über die verschiedenen Einrichtungen und wo sie zu finden sind.

Viele Eltern schließen sich auch zusammen, um ihr eigenes Projekt auf die Beine zu stellen. Sie wollen ihren Kindern eine Bildung zusichern, die ihren Vorstellungen entspricht. Die große Mehrheit der Einrichtungen, die Ludus aufführt, sind privat und gemeinnützig. Diese Schulen und Gruppen stellen einen Bruch mit der konventionellen Pädagogik dar. Sie folgen einem pluralistischen Ideal und ihnen liegen verschiedene Ansätze zugrunde. Etwas haben jedoch alle gemeinsam: das Ziel eine aktivere Bildungsform zu entwickeln, in welche Umwelt und Familie mit einbezogen werden.

Welche Typen alternativer Schulen und Kindergärten werden also in Spanien angeboten? Und was ist ihre Philosophie? Hier ein kurzer Überblick.

 

Escuelas Waldorf

In Spanien öffnete die erste Waldorfschule nach der Pädagogik Rudolf Steiners im Jahr 1975. Die Philosophie versteht die Erziehung eines Kindes aus einem holistischen Ansatz heraus, als Gesamtheit und nicht als Zusammensetzung aus einzelnen Teilen. Ohne Prüfungen, Textbücher und Hausaufgaben bieten Waldorfschulen ihre eigenen didaktischen Materialien und eine Methode, die die Familie mit einschließt. Der frühzeitige Kontakt mit Technologie soll dabei vermieden werden und es wird ein stärkerer Fokus auf die handwerkliche Arbeit mit verschiedenen Materialien wie Wolle und Faden oder Holz gelegt. Das Ziel des Ansatzes ist, die Motivation des Kindes vor den Gehorsam zu stellen und den individuellen Lernrhythmus des Kindes zu respektieren.

 

Escuelas Montessori

Das Prinzip Montessori wurde von der italienischen Ärztin und Intellektuellen Maria Montessori entwickelt. Sie entwarf didaktisch durchdachte Materialien aus Holz, die die fünf Sinne anregen sollten. Der Schüler ist dabei der Protagonist seiner Erziehung und der Lehrer soll im Lernprozess nur eingreifen, wenn sein Schützling ihn um Hilfe bittet. Das ist eines der Hauptprinzipien der Montessorischulen. Ein weiteres Merkmal ist, dass verschiedene Altersgruppen in einer Klasse gemischt werden, entsprechend ihren Entwicklungsetappen. Die Kinder werden hier als autonome Wesen, die verantwortlich und wissbegierig sind. Die Lehrer sollen das richtige Umfeld und die passenden didaktischen Situationen für dieses selbstbestimmte Lernen kreieren. Der Ansatz setzt auf eine Balance aus Eigenorganisation und Gruppenarbeit.

 

Escuelas Libres – Freie Schulen

Die freien Schulen folgen nicht einer bestimmten Pädagogik, sondern basieren auf den Aspekten verschiedener Ansätze. Sie charakterisieren sich vor allem dadurch, dass sie höchsten Wert auf den Lernrhythmus und die Interessen jedes einzelnen Kindes legen. Die meisten der Schulen orientieren sich dabei an dem Werk der Pädagogin Rebeca Wild. Die Berlinerin proklamierte eine nichtdirektive Erziehung, in der die Kinder ein möglichst hohes Maß an Autonomie in ihrem Lernprozess haben.

Die Einrichtungen weichen in der Regel von vorgegebenen Lehrplänen ab und plädieren für intuitive Lernmethoden, basierend auf der spielerischen Tätigkeit der Kinder. So sollen die Kinder für sich selbst lesen und schreiben lernen und in Workshops zu verschiedenen Themen ihr Wissen mit Eigenantrieb erweitern.

 

Escuelas bosque

Diese Einrichtungen wurden nach dem Vorbild der Waldkindergärten und -schulen in Zentral- und Nordeuropa konstruiert. Grundlegende Charakteristik dieses Modells ist die Natur als Klassenraum.

Ein Großteil der Projekte setzt in der Kleinkindphase auf das freie Spiel als Weg zum Lernen. In der Natur verortet streben sie an, dass die Kinder so viel Zeit wie möglich an der freien Luft verbringen. Der Lernprozess erfolgt also im Wald, auf dem Feld oder am Strand. Neben der Förderung durch körperliche Aktivitäten finden auch die Lese-, Schreib- und Mathematikstunden unter freiem Himmel statt. Sie erlernen dabei soziale Fähigkeiten und werden an die Einschätzung von Risiken aber auch kreative Arbeit herangeführt.

 

Escuelas democráticas

Das Hauptmerkmal der sogenannten demokratischen Schulen ist die freie und gleichwertige Beteiligung der Schüler und Lehrer. Ihre Bildung fokussiert sich auf die Suche nach der Zufriedenheit, ohne Hierarchien. Demokratische Prinzipien werden auf das Schulsystem übertragen. Die Regeln, Normen und Grenzen des Zusammenlebens werden zwischen allen in sogenannten “Prozessen”, “Parlamenten” und “Sanktionen” festgesetzt. Die Klassen und Werkstätten finden unter Selbstregierung und Eigenverantwortlichkeit statt. Das erfordert ein komplettes Umdenken des Konzepts, das wir von Schule im Kopf haben. Kinder und Jugendliche werden hier als Individuen betrachtet, die aktiv an ihrem Weg zur Bildung teilhaben und mitbestimmen sollen.

 

Escuelas constructivistas

Der Konstruktivismus ist eine pädagogische Richtung mit dem Prinzip, dem Schüler das richtige Werkzeug zur Hand zu legen, damit dieser seine eigene Vorgehensweise zur Lösung eines Problems finden kann. Denn das bringt ihn dazu, verschiedene Ideen zu entwickeln und ausprobieren. Und dadurch lernt er. Das Prinzip folgt den Grundsätzen Jean Piagets, Pionier der kognitiven Entwicklungspsychologie.

Der Ansatz ist auch als “Bildung durch Projekte” (educación por proyectos) bekannt. Die Rolle des Lehrers verändert sich und wird zu der eines Begleiters. Die Konzepte Teamarbeit, Entdecken und Erforschung sowie das Ziehen von Schlussfolgerungen aus den eigenen Erfahrungen nehmen hier einen besonders hohen Stellenwert ein.

In Spanien findet in den escuelas constructivistas der Unterricht meist ohne Textbücher und Hausaufgaben statt, die Herangehensweisen werden spielerisch gestaltet und die Schüler sollen möglichst wenig Zeit stillsitzend am Schreibtisch verbringen. Zudem wird der frühe Kontakt mit Technologien favorisiert – nach dem Prinzip The Flipped Classroom (https://www.theflippedclassroom.es/). Lesen und Schreiben werden jedoch auf traditionelle Weise erlernt, auch wenn viele Schulen weniger Wert darauf legen.

 

Sistema Amara Berri

Auch bei diesem Lehr- oder besser Lernprinzip wird weitgehend auf Textbücher verzichtet, denn der Lernprozess soll durch Erfahrungen erfolgen. Er basiert auf der Simulation des Alltagslebens, wobei die konventionelle Einteilung in verschiedene Unterrichtsfächer aufgebrochen wird. Es sollen Impulse gesetzt werden, damit jeder Schüler sich auf seine eigene Weise entwickeln kann und somit spielerisch die Welt der Erwachsenen nachgeahmt und erprobt werden. Ziel der Methodik ist, die Heranwachsenden zu autonomen, kreativen und sozialen Persönlichkeiten formen.

Die erste öffentliche Schule nach diesem Prinzip wurde in San Sebastián eröffnet und nach einem Viertel im Zentrum der Stadt benannt. Heute gibt es in Spanien etwa 20 Zentren, die sich an diesem Prinzip orientieren. An den Klassen nehmen Kinder unterschiedlichen Alters teil, um jedem Schüler zu ermöglichen seinem eigenen Rhythmus entsprechend zu lernen.

 

Enfoque Reggio-Emilia

Dieser Ansatz hat seinen Ursprung in der Region der Stadt Reggio Emilia in Italien und wurde vom Pädagogen Loris Malaguzzi entwickelt. Alle Schulen und Kindergärten, die von diesem Prinzip inspiriert sind, passen das Prinzip für die Bedürfnisse der eigenen Gemeinschaft an. Das ist wichtig, denn es gibt keine Schüler, Lehrer, Städte oder Gemeinschaften, die gleich sind. Und so ist jede dieser Einrichtungen einzigartig. In der Regel wird die Philosophie Reggio-Emilia in Vorschulen angewendet, sie kann aber auch gut zuhause umgesetzt werden. Die grundlegenden Prinzipien hierbei sind, dass die Kinder ein gewisses Maß an Selbstbestimmung über ihren Lernprozess haben. Sie sollen an verschiedene natürliche Materialien herangeführt werden und dabei spielend und experimentierend lernen. Die Rolle des Lehrers soll eher die eines Wegweisers sein, die Umwelt soll die Kinder im Lernprozess stimulieren und zu Verbesserung anregen.

Malaguzzi nahm an, dass Kinder hundert verschiedene Wege der Kommunikation haben, von welchen der konventionelle Bildungsweg 99 eliminiert. Mithilfe des Ansatzes Reggio-Emilia hingegen sollen sich die verschiedenen Ausdrucksformen manifestieren.

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