COVID 19 und psychische Gesundheit

01.12.2020 - Dra. Alma Moser, psiquiatra cuatrilingüe en SINEWS MTI, info@sinews.es 

Als im Dezember 2019 bekannt wird, dass sich eine mysteriöse Krankheit, die hauptsächlich Lunge und Atemwege befällt, in China ausbreitet, denkt man noch, dass es sich auf der anderen Seite der Welt befindet und beobachtet von Weitem das Geschehen.

Schnell wird aus der Epidemie eine Pandemie, die ersten Fälle in Europa multiplizieren sich und Maßnahmen werden verschärft.

Die meisten von uns sind zum ersten Mal mit dem Begriff "Pandemie" konfrontiert und dann folgen: Quarantäne, Gesundheitsmaßnahmen, Reproduktionszahl,  AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken), Ausgangsverbote- oder sperren, etc.

 

Spanien und Italien trifft es anfangs besonders schwer und es wird ein kompletter Lockdown angeordnet. Schwer zu glauben, aber man darf nicht mehr aus dem Haus (nur zum Einkaufen und um mit dem Hund spazieren zu gehen), die Polizei verschärft die Kontrollen und verhängt Bußgelder. Die Eltern sind von jetzt auf gleich im Homeoffice und die Kinder dürfen nicht mehr zur Schule/Kita/Tagesmutter gehen. Das stellt ein Familienleben auf den Kopf und stellt so einige vor ganz besondere Herausforderungen: organisatorisch, beruflich und psychisch.

 

Wir hier bei Sinews MTI in Madrid, einer internationalen Praxis für psychologische und psychiatrische Sprechstunden, haben diesen Einschnitt und die verschiedenen Auswirkungen auf die Psyche ganz genau beobachtet und begleiten unsere Patienten in diesen neuen Bedingungen.

 

Wir stellen eine klare Zunahme von Angstzuständen, Depressionen, Schlaf- und Zwangsstörungen fest.

Viele internationale Patienten sitzen fest, wissen nicht, wann sie das nächste Mal ihre Familie oder ihren Partner sehen werden und sind sehr einsam, weil sie (noch) kein Netzwerk um sich herum aufbauen konnten.

Auch spanische Familien sehen sich weniger, vermeiden Kontakte und Reisen, können ihre Eltern nicht mehr in Pflegeheimen besuchen etc.

Alle unsere Patienten sprechen von einem „Vor und nach COVID“ oder „ Vor und Nach Lockdown“.

 

Unter unseren Patienten ist auch vermehrt das medizinische und Pflegepersonal vertreten. Mehrere Artikel zeigen besondere Stresskrankheiten bei ihnen. Nicht nur die erschwerten Arbeitsbedingungen und das erhöhte Risiko zu erkranken, sondern auch das Stigma außerhalb des Krankenhauses als Risikoperson behandelt und vermieden zu werden, belasten sie.

 

Ich möchte Ihnen hier anhand zweier Beispiele verdeutlichen, was unsere Patienten in Madrid beschreiben und erleben:

Eine Frau, 60 Jahre alt, verheiratet, geht jeden Tag mit ihren Freundinnen im Café zum Mittagessen und kümmert sich in ihrer Freizeit viel und gerne um ihre Enkel. Mit dem Lockdown und seinen Folgen sieht sie plötzlich weder ihre Freundinnen noch ihre Familie, sitzt zu Hause und verfällt in eine tiefe Depression. So etwas hatte sie vorher noch nie erlebt. Das Einkaufen und aus dem Haus gehen machen ihr Angst, sie hat weder Lust noch Kraft mit ihren Freundinnen spazieren zugehen, auch kochen und essen bereiten ihr keine Freude mehr. Ihre Kinder und Enkel hat sie einmal zu sich eingeladen, aber dann waren die nächsten Tage mit Ängsten gefüllt, ob sie sich nicht doch angesteckt haben könnte. Sie meint „Die Menschen, die einem am liebsten sind, begibt man in größte Gefahr“.  Diese Dame zeigt viele Anzeichen einer klinischen Depression: Freud-, Interessen- und Antriebslosigkeit, körperliche Beschwerden wie Schmerzen oder Müdigkeit. Weitere Symptome der Erkrankung sind ein vermindertes Selbstwertgefühl, Appetit- und Schlafstörungen.

Eine medikamentöse Behandlung und eine Psychotherapie beginnen. Wir besprechen auch eine gewisse Risikoabwägung: welche Kontakte bergen ein gewisses Risiko, sind dieses aber Wert und welche vermeidet man lieber? Da man nicht weiß wie lange genau diese Situation noch bestehen wird und man nicht alle Kontakte meiden kann und möchte, muss man sich das im Kreise seiner Familie und Freunde überlegen und sich einigen.

 

Ein junger Student, 22 Jahre alt, lebt außerhalb Madrids und geht zur Universität. Diese hat während des Lockdowns alle Präsenzkurse abgesagt und in Online Vorlesungen umgewandelt. Schon vor Covid litt er an einer Zwangsstörung, einem Waschzwang, der sich jetzt mit den Hygieneregeln verstärkt zeigt. Er beklagt sich zusätzlich über sehr viel mehr Arbeiten und Projekte, eingeschränkte soziale Kontakte, Einsamkeit und große Sorgen um seine Eltern, die sich im Ausland befinden.  Zunächst ist es schwer für ihn einzusehen, dass sich sein Waschzwang verschlimmert, das es ja jetzt zum Alltag gehört und empfohlen ist sich die Hände zu waschen. Häufig ist es auch ein Zeichen des Zwanges, dass die Funktionsfähigkeit in Beruf und Sozialleben einschränkt ist. Auch dies ist im Falle der Quarantäne schwerer zu identifizieren und zu diagnostizieren.

Da er nicht mehr in die Praxis kommen kann um seinen Psychotherapeuten und Psychiater zu sehen, fangen wir an Onlinesprechstunden abzuhalten und die Rezepte per Email zu schicken. Dieses bleibt zunächst unregelmäßig. Mit dem Ende des Lockdowns und der Wiederaufnahme des sozialen Lebens über den Sommer, sieht er ein, dass die Behandlung intensiviert werden muss und akzeptiert regelmäßige Sprechstunden mit dem Fachpersonal.

 

Was die Patienten am meisten beschäftigt:

  • der Zugang zum Gesundheitssystem im Falle eines Notfalls oder schon vorhandenen Krankheit
  • zunächst der Mangel an Information und dann die Flut an ungeprüfter Information
  • finanzielle Unsicherheiten und existentielle Ängste
  • die Ungewissheit der Krankheit bei sich oder seinen Nächsten, v.a. mit Symptomen, die eine einfache Erkältung sein können
  • der Zugang zu Lebensmitteln und Vorräten
  • Langeweile und Einsamkeit
  • Zweifel an der Richtigkeit der Maßnahmen und ihre Politisierung

 

Wie kann man denn die Quarantäne positiv gestalten?

  • Gute Kommunikation und Vorbereitung: Tagesablauf einführen und kreativ gestalten
  • Spazierengehen, Meditation
  • Mit den Lieben über Videoanrufe sprechen
  • Sorgfältig ausgewählte Informationsquellen aussuchen und ihre Benutzung einschränken
  • Unterstützung und fachliche Hilfe anfragen, fast alle Therapeuten haben nun Video-sprechstunden

 

Für die Weihnachtsfeiertage kommen viele Fragen auf und leider haben wir noch nicht viele Antworten, außer, dass es in diesem Jahr anders wird.

Wir wünschen Ihnen dennoch frohe und selige Feiertage, sei es mit Freunden, Familie, digital oder in Person. Bleiben Sie gesund.

 

Quellen:

- The outbreak of COVID-19 coronavirus and its impact on global mental health, Julio Torales et al, International Journal of Social Psychiatry, Volume: 66 issue: 4, page(s): 317-320, Article first published online: March 31, 2020; Issue published: June 1, 2020 https://doi.org/10.1177/0020764020915212
  • The psychological Impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence, S. K. Brooks and al, The Lancet, Rapid Review, Volume 395, Issue 10227, P912-920, March 14,2020

        Published: February 26,2020 DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)30460-8

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