SERIE: Barcelona - Lausige und lauschige Absteigen (Teil 3)

20.09.2010 - Markus Jacob / manager magazin 

Die Stadt zählt nun schon eine Weile zum Kreis jener Städte, an die ein alerter Europäer denkt, wenn er, während er sich die Zigarette danach ansteckt, zu seiner Geliebten sagt: "Und wenn wir dieses Wochenende irgendwohin fahren würden?" Worauf sie erwidert: "Meine Freundinnen schwärmen immer von Barcelona." Und er: "Genau! Da kam ich doch 1974 auf dem Weg nach Ibiza vorbei. Diese lausige Absteige damals, das kannst du dir gar nicht vorstellen."

Und dann kriegen sie kein Zimmer. Barcelona mit seinen 50.000 Gästebetten (private Pensionen nicht mitgerechnet; aber unser Paar, von lausig zu lauschig, sucht jetzt eher im Viersternebereich) weist auch in Krisenzeiten eine Auslastung von 70 Prozent auf.

Verlasse ich mein Haus, so wähne ich mich manchmal in einer Stadt, in der sich überhaupt nur noch globale Bonvivants, finnische Professoren, brasilianische Poeten, ukrainische Triphop- Musikerinnen, koreanische Models und chilenische Architektinnen tummeln. Nicht zu vergessen die aus Casablanca, Manila, Mar del Plata oder Toulouse stammenden Kellnerinnen, die eine zuvor unbekannte Liebenswürdigkeit in den Alltag gebracht haben.

Zwei freundschaftliche Warnungen. Angenommen, unser exemplarisches Paar findet doch eine Unterkunft, so stehen mit Sicherheit zwei gleichermaßen absurde Musts auf seinem Programm: erstens die Sagrada Família, zweitens eine rauschende Nacht in Barcelonas fabelhaften Designerbars. Ich weiß nicht, wie vielen Gästen ich schon vom Besuch des berühmten Gaudí-Bauwerks abgeraten habe - vergeblich.

Es ist wie ein Zwang: Sie müssen die Sagrada Família gesehen haben, auch wenn man ihnen schwört, dass es hier reihenweise interessantere Bauten Gaudís und seiner Zeitgenossen gibt. Fast niemand verirrt sich etwa in das knapp fünf Gehminuten von der Sagrada Família entfernte Hospital de Sant Pau, das gleichfalls zum Unesco-Welterbe gehört und von der Stadt in ihren Modernisme- Prospekten auch gebührlich gewürdigt wird.

Die letzte Flaniermeile Europas ist dahingeschieden

Auch der ungebrochene Drang der Kulturtouristen, in Barcelona mindestens einmal stilvoll zu versumpfen, beruht auf einer Fehleinschätzung. Stil hatten die achtziger Jahre, und zwar genauso bei der Gestaltung von Außenräumen wie von Interieurs. Man betrank sich damals tatsächlich nur, um allwöchentlich die Kargheit der neuesten Theke zu bewundern. Um 1990 kam der ironische Plüsch hinzu, später die eine und andere Retro-Welle, und nebenbei erfuhr man, dass sich der Begriff Designerbar einstweilen von Allschwil bis Kalgoorlie zu verbreiten begann und entsprechend aufgeweicht ist.

Noch schlimmer ist es der Rambla ergangen.Wir haben die schmerzliche Pflicht, das Hinscheiden der letzten Flaniermeile Europas, die diesen Namen verdiente, kundzutun. Die Krankheit, die ihr seit dem olympischen Sommer 1992 mehr und mehr zugesetzt hat, steckt prallschenklig in Bermudas und T-Shirts mit Botschaften, über die man nur den Kopf schütteln kann. Auf der Rambla stammt lediglich noch jeder fünfte Passant aus dem Land selbst. Die Einheimischen meiden den Ort schon seit längerer Zeit, und vielleicht sind es die drögen "lebenden Statuen", um die sich Trauben von Touristen scharen, die den Niedergang dieser einst so lebensprallen Straße am fotogensten repräsentieren.

Da ist das Geknatter der Motorräder schon ein passenderes Symbol für diese Stadt. In Pulks stieben sie davon, kurz bevor die Ampeln an den Eixample- Kreuzungen auf Grün schalten: Das kostet Nerven, es sei denn, man lässt sich davon in eine Art urbane Ekstase versetzen.

In Barcelona spürt man die Energie des ganzen Stadtkörpers in jedem seiner Teile. Die Ereignisdichte (mag auch das Ereignis oft bloß die Form von zwei schönen Beinen haben) ist hoch - und anstrengend. Dass die Stadt trotz ihres Ungestüms, ihrer Dichte und ihrer Extravaganzen so effizient und erfolgreich ist, mag daran liegen, dass sie eine der bestgeordneten und mit größter Vernunft angelegten in ganz Europa ist. "La ben plantada " nennt sie sich selbst, frei übersetzt heißt das etwa "die gut Gebaute".

Stolz klingt darin mit, doch darüber hinaus ist der Charakter der Barceloniner schwer zu fassen. Sie werden ebenso oft als verschlossen wie leutselig geschildert, und es ist wohl auch beides wahr. Die Straße bietet endlose Abwechslung, Blickfänge, ein ewiges Palaver und alle Widersprüche Barcelonas sind vielleicht in jenem Begriffspaar enthalten, mit dem die Katalanen ihren Charakter zu definieren versuchen: seny i rauxa, gesunder Menschenverstand, aber bitte mit einem Schuss Wahnsinn.

Ein bisschen verrückt muss man ja schon sein, um flüssige Ravioli und essbare Schäume aus Rauch zu erfinden. Aber es bedurfte auch einer Menge Vernunft dazu, diese Stadt so kompakt und formvollendet vor der halluzinogenen Perfektion des Meeres aufzubauen.

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