19.04.2018 - Deutsche Infodienste
Was ist eigentlich der europäische Haftbefehl und warum wurde dieser im Falle Puigdemont bisher nicht ausgeführt?
Wir haben einen in Spanien ansässigen Deutschen Anwalt gebeten die Angelegenheit zu erklären. Der Autor möchte anonym bleiben.
Am 25. März wurde der katalanische Präsident Carles Puigdemont auf der Rückreise von der Universität Helsinki über Belgien von der deutschen Polizei in Schleswig-Holstein festgenommen. Der spanische Centro Nacional de Inteligencia hatte das Bundeskriminalamt informiert, als sich Puigdemont von Finnland auf den Weg machte, und das Bundeskriminalamt informierte das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein, welches daraufhin zugriff.
Puigdemont wurde anschließend in die Justizvollzugsanstalt Neumünster eingeliefert, an dessen Amtsgericht am 26. März die Haftprüfung stattfand.
Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein erließ das OLG Schleswig-Holstein am 5. April einen Auslieferungshaftbefehl wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder, gewährte aber zugleich Haftverschonung.
Hintergrund des Auslieferungsverfahrens war ein Europäischer Haftbefehl, den das Königreich Spanien gegen Puigdemont wegen rebelión und Korruption erlassen hatte. Grundsätzlich wird in einem Auslieferungsverfahren gemäß § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) die sogenannte “beiderseitige Strafbarkeit” geprüft, also die Strafbarkeit auch in Deutschland zum Tatzeitpunkte. Der Europäische Haftbefehl, der geschaffen wurde, um das Vertrauen zwischen EU-Mitgliedstaaten zu stärken und die Verfolgung bestimmter grenzenüberschreitender Deliktstypen (etwa Drogen- und Menschenhandel sowie Terrorismus) zu vereinfachen, erleichtert das Verfahren dahingehend, daß bei bestimmten Katalogtaten, die sich aus dem Rahmenbeschluß 2002/584/JI ergeben, die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist. Im vorliegenden Falle ist deshalb zu betonen, daß wohl die Korruption, nicht aber die Rebellion zu diesen Katalogtaten gehören, und das Gericht daher verpflichtet war, hinsichtlich letzterer die beidseitige Strafbarkeit zu begutachten.
Die Entscheidung des OLG Schleswig-Holstein beruht darauf, daß der zuständige I. Strafsenat die Auslieferung wegen Vorwurfs der rebelión gemäß Art. 472 Abs. 5 und 7 des spanischen Strafgesetzbuchs von vornherein als unzulässig betrachtete.
Dabei ist zunächst festzuhalten, daß es das Delikt der “Rebellion” in Deutschland nicht gibt. Die beiderseitige Strafbarkeit läßt sich daher nur durch eine sogenannte “sinngemäße Umstellung” (§ 3 Abs. 1, Var. 2 IRG) beurteilen, also unter der Hypothese, daß der Betroffene als deutscher Staatsangehöriger in Deutschland bei Beteiligung deutscher Institutionen so gehandelt hätte, wie er es im Königreich Spanien getan hat. Dann käme allenfalls eine Strafbarkeit wegen “Hochverrats gegen den Bund”, § 81 Abs. 1 StGB, in Betracht.
Puigdemonts Verhalten im Zuge des Unabhängigkeitsreferendums sei aber unter diesem Straftatbestande nicht strafbar gewesen, da es am Merkmale der “Gewalt” gefehlt habe: zwar folgte das Gericht der Einschätzung der spanischen Regierung darin, daß die am Wahltage stattgefundenen Gewaltakte Puigdemont als Umsetzer und Verfechter des Referendumds grundsätzlich zuzurechnen seien; allerdings reiche nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht jede Androhung oder Anwendung von Gewalt aus, um den Tatbestand des Hochverrats zu erfüllen – vielmehr müsse die angewandte Gewalt so eingriffsintensiv sein, daß sie das genötigte Verfassungsorgan (bzw. hier den Bund) seiner Entscheidungsfreiheit im Einzelfalle beraube. Es entspreche laut Ansicht des Bundesgerichtshofs dem Willen des Gesetzgebers, daß die Anforderungen an das Gewaltkriterium im Staatsschutz höher seien als im Individualrechtsschutz. Da es das Gericht aber nicht als erwiesen ansah, daß die am Wahltage begangenen Gewaltakte geeignet gewesen waren, die Entscheidungsfreiheit des Königreichs Spanien zu beschneiden, fehlte es insoweit an einer Strafbarkeit des Verfolgten.
Anders war das im Falle der Korruption: diese bezeichnet im deutschen Sprachgebrauch zwar eher Bestechungsdelikte, allerdings habe die spanische Regierung die Entscheidung Puigdemonts, für das verbotenen Referendum öffentliche Gelder aufzuwenden, nachvollziehbar unter die Korruption im Sinne des § 81 Abs. 3 IRG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses subsumiert. Allerdings war das Gericht der Auffassung, daß insoweit die Sachverhaltsdarstellung der spanischen Regierung noch unzureichend sei, um einer Schlüssigkeitsprüfung standzuhalten. Deshalb hat die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein das Königreich Spanien um weitere Informationen gebeten.
Bis dahin bleibt der Verfolgte gegen eine Kaution auf freiem Fuße, da das Gericht die Fluchtgefahr wegen der Unmöglichkeit der Auslieferung wegen Rebellion als verringert ansieht. Er muß sich aber regelmäßig bei den Behörden melden und darf das Bundesgebiet nicht verlassen.
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