HINTERGRUND: Das organisierte Verbrechen und die Fresken aus dem Boí-Tal

23.05.2008 - Anuschka Seifert 

Im Vall de Boí in den Pyrenäen gibt es auf engstem Raum mehr romanische Kirchen, als irgendwo sonst auf der Welt. “Zwischen 1050 und 1150 wurden hier neun Kirchen und mehrere Einsiedeleien gebaut, teilweise nur einen Kilometer entfernt von einander. In den Nachbartälern dagegen, in denen auch nur ein paar Familien wohnten, gab es nur eine einzige Kirche”, weiß die Direktorin des Centre de Romànic, Anna Monsó, die hier aufgewachsen ist. Der Grund: “Die Adelsfamilie Erill nahm an den Kämpfen gegen die Sarazenen teil. Mit der Kriegsbeute ließ sie diese Kirchen errichten, von Baumeistern aus der Lombardei”, erzählt Anna mit glänzenden Augen. Doch viel mehr ist aus der inzwischen tausendjährigen Geschichte auch schon nicht mehr überliefert.

“Wiederentdeckt wurden die romanischen Fresken im Boí-Tal vor nicht einmal hundert Jahren.” Der katalanische Jugendstilarchitekt Puig i Cadafalch führte 1907 eine archäologische Expedition im Vall de Boí durch. Ziel war es, die romanischen Bergkirchen zu katalogisieren. “Zu seinem Erstaunen findet er versteckt hinter Barockaltären der neun Kirchen unglaubliche Fresken: mittelalterliche Bestien und Fabelwesen (Sant Joan de Boí) in lebhaften Blau-, Ocker- und Rottönen. Den Pantokrator (Weltherrscher), von vier Engeln umgeben mit dem fordernden und besitzergreifenden Blick, der einen bis in den letzten Winkel der Kirche (Sant Climent de Taül) verfolgt. Unter ihm eine Mutter Gottes mit der dampfenden Gralsschale.

Puig i Cadafalch entdeckt auch, dass der Freskenmaler, als Meister von Taül bekannt, an dem aus Lapislazuli hergestelltem Blau nicht sparen musste. “Es ist so reichlich vorhanden, dass man damit eine ganze Schiffsladung von Sklaven hätte freikaufen können”, meint Anna. Doch nicht nur der Architekt entdeckt die Fresken. “Französische und amerikanische Kunsthändler hatten längst den einheimischen Pfarrer bestochen und die Erfinder der Strappo-Technik, eine Familie aus dem italienischen Bergamon reiste inzwischen mit einer Kutsche in die Pyrenäen, um die Fresken in einer Nacht- und Nebelaktion buchstäblich von den Wänden zu ziehen.”

Doch Puig i Cadafalch bekommt Wind von der Aktion. Flugs adressiert er einen Brief an die Italiener und setzt noch einen gefälschten Stempel aus einem Madrider Ministerium darunter. Er hat Glück. Die Restauratoren entscheiden sich mit der “Madrider Regierung” zusammenzuarbeiten, anstatt mit kriminellen Kunsthändlern. Unter Polizeiaufsicht wenden sie 1919 ihre Strappo-Technik zum ersten Mal an. Sie kleben dünnen Leinen mit warmer Molke (Kasein) auf die gemalten Wände, einmal angetrocknet werden die Leinen von den Wänden abgezogen, aufgerollt und mit Maultieren über die Pässe bis nach Barcelona in Sicherheit gebracht.

Hier sind die Originalfresken im Museum für Katalanische Kunst auf nachgebauten Apsiden und Gewölben zu besichtigen. Diese Sammlung romanischer Wand- und Tafelmalerei ist Dank der unglaublichen Rettungsaktion von Puig i Cadafalch einzigartig in der ganzen Welt.
 
Doch nicht alle Fresken der Bergkirchen des Boí-Tals sind Kopien. Bei einer Restaurierung im Jahr 2001, bei der auch Anna dabei war, “kamen neue Szenen in der Sant Climent-Kirche von Taül zum Vorschein: Zum Beispiel Kain, der Abel erschlägt.” Die Kirchen und Einsiedeleien können das ganze Jahr über besichtigt werden. Anna, die Kunsthistorikerin ist, organisiert Führungen durch alle Bauwerke in mehreren Sprachen.

Centre de Romànic de la Vall de Boí
C/Batalló 5, Erill la Vall, Tel.: 973 696 715

Museu Nacional d'Art de Catalunya
Palau Nacional, Parque de Montjuïc, Barcelona,
Tel.: 93 622 0360  

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