22.09.2012 - Dr. Javier Valls, LL.M. (Abogado), Leiter der Steuerkanzlei Javier Valls Abogados
Der steuerliche Wohnsitz (sog. „residencia fiscal“) natürlicher Personen ist einer von zwei Anknüpfungspunkten aufgrund derer ein Staat Steuern erheben kann und auf deren Grundlage die Besteuerung nach dem sog. Leistungsfähigkeitsprinzip erfolgt.
Das bis zu den 60er Jahren geltende traditionelle Kriterium des Territorialitätsprinzips, demzufolge nur Einkünfte aus einem Gebiet ohne Berücksichtigung von Einkünften in anderen Ländern besteuert wurden, wurde zugunsten eines neuen und anspruchsvollen Welteinkommensprinzips („worldwide income“ bzw. „renta mundial“) verdrängt. Aus diesem Grunde muss ein Steuerpflichtiger sämtliche Einkünfte, unabhängig davon, in welchem Land sie erzielt wurden, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände versteuern. Im Zusammenhang der wachsenden Internationalisierung der Wirtschaft in den 60-ger und 70-ger Jahren hat die Staatsangehörigkeit immer mehr an Bedeutung verloren und ist heutzutage kaum noch relevant. Der steuerliche Wohnsitz ist somit zum „König“ geworden.
In dem Doppelbesteuerungsabkommen (sog. DBA) zwischen Spanien und Deutschland ist geregelt, dass die nationale Gesetzgebung jedes Staates festlegt, wann eine natürliche Person steuerlichen Wohnsitz hat (wir erinnern daran, dass es sich bei einem DBA um ein internationales Abkommen zwischen zwei Staaten handelt, das sich darauf beschränkt, zu regeln, welcher Staat welche Einkünfte besteuern kann, nicht aber in welcher Weise). Artikel 9 des spanischen Einkommensteuergesetzes legt zwei Tatbestandsmerkmale für das Entstehen eines steuerlichen Wohnsitzes und damit die Gründung einer unbeschränkten Steuerpflicht in Spanien fest: 1) Wohnsitz in Spanien während mindestens 6 Monaten innerhalb eines Kalenderjahres (gerechnet ab 1. Januar und nicht nach Gründung des Wohnsitzes in Spanien); 2) Bestehen eines direkten oder indirekten Lebensmittelpunkts in Spanien unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Aktivitäten bzw. Interessen. Während es sich bei dem ersten Tatbestandsmerkmal um das Hauptkriterium handelt, wird das zweite eher als Antimissbrauchsmaßnahme betrachtet.
Zur Verdeutlichung der Frage, was unter „Wohnsitz“ zu verstehen ist, empfiehlt sich der Verweis auf einige Urteile des Obersten Gerichtshofs („Tribunal Supremo“) vom 11.11.2009 und 16.6.2011, in denen jeweils festgelegt wurde, dass einerseits eine Absicht vorliegen muss, einen Wohnsitz in einem bestimmten Staat zu gründen und andererseits ein solcher tatsächlich bestehen muss. Die Dauerhaftigkeit ist für die Bestimmung des Wohnsitzes wesentlich, so dass der reine Wohnsitz nicht mit dem steuerlichen Wohnsitz verwechselt werden darf.
Aus diesem Grunde ist die Feststellung, dass jemand in Spanien wohnt, nicht ausreichend für die Bejahung eines steuerlichen Wohnsitzes in Spanien. Studenten werden z. B. nicht aufgrund eines schlichten länger als 6 Monate dauernden Aufenthalts in Spanien steuerpflichtig, da sie in der Regel keine Einkunftserzielungsabsicht haben und nach Abschluss ihres Studiums in ihre Heimatländer zurückkehren. Auch die Tatsache, in Spanien bei der Gemeinde gemeldet zu sein („empadronado“), ist nicht automatisch gleichbedeutend mit der unbeschränkten Steuerpflicht, wenn auch diese in den letzten Jahren von den Steuerbehörden als Indiz hierfür genutzt wurde und den vermeintlichen Steuerpflichtigen zum Beweis des Gegenteils auffordert, d.h. dass er sich tatsächlich nicht ständig in Spanien aufhielt (sog. Beweislastumkehr). Ein solcher Fall der Vermutung eines steuerlichen Wohnsitzes bei Anwendung des Prinzips der Beweislastumkehr liegt z. B. in dem Falle vor, dass ein Ehepartner bzw. Kindern in Spanien leben. Hierbei besteht die Vermutung, dass auch der Steuerpflichtige tatsächlich in Spanien lebt und mithin unbeschränkt steuerpflichtig ist.
Diejenigen Personen, die regelmäßig nach Spanien reisen und dort nicht steuerpflichtig werden möchten, müssen dafür sorgen, dass ihre „sporadischen Abwesenheiten“ (sog. „ausencias esporádicas“), d.h. die Tage, an denen sie nicht in Spanien sind, nicht gezählt werden, um bei der Berechnung der 6 Monate nicht berücksichtigt zu werden. Im Hinblick auf den Nachweis der Anzahl der in Spanien verbrachten Tage ist es unerlässlich, im Bedarfs- und Zweifelsfalls eine unbeschränkte Steuerpflicht in einem anderen Staat beweisen zu können. Im Zweifelsfall (kurz vor oder nach Ablauf der 6 Monate) wird die spanische Finanzverwaltung nicht auf ihrer 6-Monatsberechnung bestehen, wenn die Person, die Spanien besucht, aus einem aus steuerlicher Sicht „befreundeten“ Land stammt (Staaten mit denen Spanien ein DBA abgeschlossen hat).
Stammt der Besucher aus Andorra, Gibraltar oder Monaco u.a. vertrauen die spanischen Finanzbehörden den Wohnsitzbescheinigungen dieser Länder nicht ohne weiteres (diese Bescheinigungen sind gegen Entgelt erhältlich). In diesen Fällen werden Nachweise gefordert, die den tatsächlichen Wohnsitz in diesen als Steuerparadiese angesehenen Ländern sowie eine Einkunftserzielungsabsicht unter Beweis stellen.
Die Entstehung eines steuerlichen Wohnsitzes und damit einer unbeschränkten Steuerpflicht in Spanien müsste im Prinzip automatisch zum entsprechenden Verlust der unbeschränkten Steuerpflicht im Ursprungsland der betreffenden Person führen. In jedem Falle ist ein doppelter Wohnsitz zu vermeiden, da in einem solchen Falle das Welteinkommen in zwei Staaten gleichzeitig besteuert würde und somit das Problem der Doppelbesteuerung auftritt.
Bei einem Umzug von einem Land in ein anderes tauchen häufig Konflikte auf (zwei Wohnsitze oder sogar überhaupt kein Wohnsitz), denn jedes Land errechnet die 6-Monatsfrist nach anderen Kriterien. Spanien lässt beispielsweise keine Aufsplittung des Kalenderjahrs zu, was bedeutet, dass man während eines Kalenderjahres in Spanien unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist, aber man kann nicht innerhalb eines Jahres unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtig sein.
In keinem Falle wird je von einem Staat akzeptiert, dass in keinem Land ein steuerlicher Wohnsitz besteht. Spanien hat diesbezüglich in einigen Staaten Konflikte verursacht, denn mithilfe des Art. 93 des spanischen Einkommensteuergesetzes wurde vor ca. 10 Jahren eine Regelung zur Verfolgung der sog. „white collar workers“, die zwischen verschiedenen Unternehmen eines Konzerns wechselten, eingeführt (sog. „régimen especial para trabajadores desplazados“).
Ziel dieser Regelung war die Steigerung der Attraktivität einer Tätigkeit in Spanien für diejenigen, die in spanischen oder internationalen Konzernen arbeiten. Hierbei handelt es sich um ein erfolgreiches Sonderregime, mit dem eine unbeschränkte Steuerpflicht verhindert werden kann, selbst wenn ein Arbeitnehmer mehrere Jahre in Spanien lebt und arbeitet; dieses gilt für alle diejenigen, die regelmäßig für einen oder mehrere Arbeitgeber arbeiten, aber keinen steuerlichen Wohnsitz in Spanien erlangen, solange ein Zeitraum von 5 Jahren nicht überschritten wird. Diese Steuerfiktion verhindert eine Änderung der Steuerpflicht des Arbeitnehmers, der aus einem anderen Land stammt und erlaubt eine Besteuerung nur der Einkünfte, die in Spanien erzielt werden, und zwar zu einem geringeren Steuersatz (24,75 ) als dem, der auf einen unbeschränkt Steuerpflichtigen (progressiver Steuersatz) angewandt würde. Die im Ausland erzielten Einkünfte sind steuerbefreit.
Problematisch ist, dass Spanien mit dieser Spezialregelung einseitig und wenig transparent vorgegangen ist: So besteht in einigen Fällen keine unbeschränkte Steuerpflicht (Steuersatz gering, keine Abzugsfähigkeit der Sozialabgaben), obwohl hinsichtlich anderer Aspekte unbeschränkte Steuerpflicht besteht (die in Spanien erzielten Zinseinkünfte werden versteuert, während diese Einkünfte bei fehlender unbeschränkter Steuerpflicht nicht besteuert würden und Berücksichtigung von Freibeträgen von Spesen). Das Wichtigste ist allerdings, dass die von den spanischen Finanzbehörden ausgestellte Bescheinigung darüber, dass eine Person diesem speziellen Steuersystem untersteht, im Anwendungsbereich des DBA nicht wirksam ist, so dass die Gültigkeit einer solchen Bescheinigung im Herkunftsland (oder einem dritten Land) von der Kulanz der nationalen Steuerbehörden (oder deren Unkenntnis dieses Systems) abhängt.
Deutschland hat nach diversen Diskussionen mit der spanischen Finanzverwaltung gefordert, eine Klausel in das zwischen Spanien und Deutschland im 2011 unterzeichnete DBA einzufügen, derzufolge dieses spezielle Steuerregime nicht anerkannt werden muss. Die Tatsache, dass viele Staaten dieses spanische Spezialregime nicht akzeptieren, führte dazu, dass ein Arbeitnehmer in Spanien weiterhin in seinem Herkunftsland unbeschränkt steuerpflichtig sein konnte, und zwar sogar in solchen Fällen, in denen der Arbeitnehmer dieses nicht beabsichtigte. Dieses zwang ihn, seine Einkünfte nach dem Welteinkommensprinzip in seinem Herkunftsland zu versteuern, obwohl er seit Jahren im spanischen Territorium lebte und arbeitete. Aus diesen Gründen sollte ein Umzug von einem Land in ein anderes stets einer genauen steuerlichen Planung unterzogen werden.
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