SERIE: Spanien heute

06.07.2009 - Madrid für Deutsche 

Walther L. Bernecker: Souveränität und Totalität – das „baskische Problem“

Auf der Suche nach Lösungen: Gewalt oder Verhandlungen?

Der Übergang in die Demokratie brachte keine Lösung des ETA-Problems. Im Gegenteil: Der Terror nahm zu, erreichte 1980 einen spektakulären Höhepunkt mit 100 Gewalttoten und pendelte sich danach bei rund 40 pro Jahr ein. Bald wurde deutlich, dass der ETA-Terror zu einer endemischen Erscheinung geworden und
durch Übertragung weiterer Kompetenzen an das Baskenland nicht einzudämmen war.

Die sozialistischen Regierungen von Felipe González (1982–1996) wandten verschiedene Taktiken an, um ETA zu bekämpfen: Auf der einen Seite erfolgte eine engere Zusammenarbeit mit den französischen Sicherheitsbehörden, die schließlich zur Mithilfe bei der ETA-Verfolgung bewogen werden konnten. Damit entfiel der südwestfranzösische Rückzugsraum für ETA, den sie jahrelang als Zufluchtszone und Ausgangsbasis für viele Anschläge benutzt hatte; dies führte zu einer deutlichen Schwächung der Organisation. Im Frühjahr 1992 konnte die gesamte damalige ETA-Führung im südfranzösischen Bidart ausgehoben werden, was einen gewaltigen Schlag gegen die Terrororganisation bedeutete.

Auf der anderen Seite verstärkten die spanischen Behörden ihren Kampf gegen die Separatisten, sie verschärften die antiterroristischen Gesetze, hoben ETASchlupfwinkel aus, erzielten polizeiliche Erfolge. Offensichtlich überschritten die Behörden dabei auch die von einem Rechtsstaat gesetzten Grenzen. Vieles spricht dafür, dass vom Madrider Innenministerium aus in den Jahren 1983 bis 1987 eine Terrororganisation mit der Bezeichnung Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL, “Antiterroristische Befreiungsgruppen”) aufgebaut wurde und diese Attentate gegen (angebliche oder tatsächliche) ETA-Mitglieder mit dem Ziel verübte, die baskische Unabhängigkeitsbewegung durch gezielten Gegenterror zu zerschlagen. Dieser “schmutzige Krieg” kostete mehrere Dutzend Menschen das Leben.

Seit die baskische Regierung die Kompetenz über eine eigene Polizei (Ertzaintza) hat, ist diese auch immer öfter Opfer von Attentaten geworden. Was früher ein Konflikt zwischen dem Baskenland und der Zentralregierung war, ist schon seit längerem auch eine innerbaskische Auseinandersetzung. Vor allem ist seit Jahren eine Entwicklung festzustellen, die im Zuge der willkürlichen ETA-Morde deutlich zugenommen hat: die Distanzierung der baskischen Gesellschaft von ETA. Lange Zeit war in Euskadi zum ETA-Terror geschwiegen worden, teils aus angeblichem Verständnis, teils aus Angst. Es war (und ist) auch mit nicht unerheblichen Risiken verbunden, öffentlich seine Stimme gegen ETA zu erheben.

In den letzten Jahren nun hat sich eine immer breitere Widerstandsfront gegen das radikal-nationalistische Lager und dessen Gewalttaten gebildet. Aus zuerst vereinzelten Stimmen wurde ein immer lauterer Chor; inzwischen haben Massendemonstrationen und Generalstreiks stattgefunden, an denen Hunderttausende von Basken mit dem Friedenssymbol, einer blauen Schleife, teilgenommen haben. Zuerst organisierten sich die Familien, die Opfer des ETA-Terrors geworden waren.

Die bedeutendsten Vereinigungen sind die Asociación de Víctimas del Terrorismo (AVT) und das Comité de Víctimas del Terrorismo (COVITE). Zu den Organisationen, die mutig ihre Stimme gegen ETA erheben und ihre Mitglieder damit erheblichen Risiken für Leib und Leben aussetzen, gehören Basta ya, Gesto por la Paz und Elkarri. Nach der Ermordung des jungen Gemeinderats von Ermua, Miguel Ángel Blanco, 1997 entstanden
noch Foro Ermua und (als Stiftung für die Opfer des Terrors) die Fundación Miguel Ángel Blanco.

Heute lässt sich deutlich sagen: Die militante Organisation ETA verliert im Baskenland seit Jahren zusehends an sozialem Rückhalt, die Politiker der ETA-nahen Parteien – die sich nach wie vor weigern, die Morde und Entführungen zu verurteilen – werden immer offensiver ausgegrenzt. Immer breiter wird die gesellschaftliche und politische Koalition jener Kräfte, die den Terrorismus aktiv ablehnen und die radikalen Kräfte isolieren. Der Straßenterror der Jugendorganisation Jarrai trifft auf ebenfalls jugendlichen Widerstand.

Allerdings gibt es auch widersprüchliche Entwicklungen. Schon 1988 hatten sich die demokratischen Parteien des Baskenlandes im “Pakt von Ajuria Enea” zu einer Antiterrorfront zusammengeschlossen...

Lesen Sie weiter in:
Walther L. Bernecker (Hg.)
Spanien heute, Vervuert Verlag Ffm 2008
ISBN 978-3-86527-418-2

Erhältlich bei Auryn und www.ibero-americana.net

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