SERIE: Raus aus der Krise - 3. Teil

12.04.2010 - Luis S. Weickgenannt, Sánchez & Lehmann 

Cost of Change-Gleichung

An der Harvard Business School lernte ich eine einfache Gleichung, anhand derer die Chancen eines erfolgreichen Wandels ermittelt werden können. Leicht abgewandelt lautet sie wie folgt:

Cost of Change < Dissatisfaction * Clarity of Vision * Process

D.h., die Kosten des Wandels müssen geringer sein als das Produkt der Faktoren Unzufriedenheit, Klarheit der Vision und Umsetzbarkeit des Prozesses.

Diese Gleichung gründet somit zunächst darauf, dass jeder Wandel “Kosten” verursacht, seien sie monetärer oder immaterieller Natur. Wird ein Unternehmen reorganisiert, so verändern sich die Machtverhältnisse in ihm und Viele werden aus Angst vor einem Verlust versuchen, den Wandel zu blockieren. Andererseits kann ein Wandel auch enorme Ressourcen verschlingen; das Umsiedeln eines Produktionsstandortes sei als Beispiel genannt. Beide sind als sogenannte „Cost of Change“ zu werten.

Ihm gegenüber steht das Produkt der drei genannten Faktoren. Unzufriedenheit mit der derzeitigen Situation wird benötigt. Sollte sie noch nicht vorhanden sein, kann sie aktiv geschaffen werden. Ein Mitarbeiter, der sich wohl fühlt, wird kaum gewillt sein einen schmerzhaften Change mitzutragen. Vielmehr wird er den Status Quo zu wahren versuchen. Der 2. Faktor ist die Vision: Wo wollen wir hin? Wie sieht jene (für Sie) wesentlich bessere Zukunft aus? Sie muss einleuchten und motivieren. Zuletzt muss auch der Pfad, der Prozess dahin umrissen werden und als realisierbar eingeschätzt werden.

Cost of Change-Modell auf die spanische PYME angewandt

Kommen wir auf unseren spanischen Mittelstand, die PYME, zurück und versuchen diese Formel anzuwenden. Jahrelang hat Spanien ein wirtschaftliches Hoch erlebt. Die PYME konnte vom internen Konsum sehr gut leben. Ursache dafür waren mitunter niedrige Zinsen und durch den Bauboom hervorgerufene Konsum- und Preisblasen (beispielsweise Luxusautos, Gourmetfood, Markenkleidung wurden in selten zuvor gesehenem Maße von einer breiten Gesellschaftsschicht gekauft).

Welchen determinierenden Anreiz hatte unsere PYME, Grundlegendes zu verändern, harte Kostenoptimierungsprogramme einzuleiten, langwierige Ressourcen verschlingende Innovationen zu generieren und internationale, riskante Expeditionen aussenden zu wollen? Kaum einen. Man konnte innovative Anlagen oder Dienstleistungen für günstig geliehenes Geld im Ausland erwerben. Auch der interne Konsum bot offensichtlich zu gute Umsatzmöglichkeiten, als dass man sich die Mühen der Öffnung nach außen hätte aufbürden wollen.

Wie stand es um die andere Seite der oben genannten Gleichung? Unzufriedenheit konnte sich in unserer PYME kaum breitmachen. Initiativen beispielsweise öffentlicher Natur, Innovationen voranzutreiben, zu internationalisieren, etc. gab es zur Genüge. Ob diese klar genug erläutert waren? Ob hier tatsächlich international wettbewerbsfähige Ideen gepriesen und mit weiterem Geld zu guten Konditionen gefördert wurden? Das ist schwierig zu beantworten. A posteriori scheinen viele Bemühungen von Institutionen wie ICEX (Außenhandelsförderung) oder CDTi (Subventionen) durchaus wohl durchdacht und im Kern sehr sinnvoll gewesen zu sein. Warum lieferten sie jedoch keine Strukturänderungen im großen Rahmen? Die Antwort liegt auf der Hand. Es fehlte Unzufriedenheit. „Uns geht es doch gut“, dachten sich viele Unternehmer.

Heute sehen wir uns mit einer vollständig veränderten Situation konfrontiert. Die viel beklagte Wirtschaftskrise, sie könnte für den notwendigen Impuls sorgen. Unzufriedenheit, sie ist (endlich) in erheblichem Maße vorhanden. Wie steht es also um klare Vision und smartem Prozess, um den Wandel im Mittelstand angehen zu können? Leider bäumt sich an dieser Stelle eine unüberwindbar scheinende Barriere auf: Es mangelt in der PYME meist an Fähigkeiten, an der Erfahrung, an den Kontakten, komplexe Strategien zu entwickeln und diese auch umzusetzen. Viele Unternehmer oder Führungskräfte haben lediglich im eigenen Sprachraum gewaltet, in einem Radius von wenigen hundert Kilometern ihre Kunden bedient und sind, was internationale Gewandtheit betrifft, bislang selten gefordert worden. Können wir folglich erwarten, dass sie sich im internationalen Wettbewerb problemlos behaupten können? Das ist unwahrscheinlich.

Teufelskreis der PYME, Funkenwerf-Modell und Cost of Change-Gleichung


Der spanische Großkonzern kann i. A. hervorragend mit den Faktoren unseres in Teil 1 vorgestellten Teufelskreises jonglieren und die Krise – da sich Unzufriedenheit einstellt – sogar für weitere Optimierungen nutzen. Auf unsere PYME trifft das nicht zu. Dem spanischen PYME-Unternehmer wird es nur schwerlich gelingen können, sich die benötigten Fähigkeiten kurzfristig anzueignen. Ist die Lage daher ausweglos? Keineswegs!

Sofern man sie zu nutzen und integrieren weiß, kann man jene Fähigkeiten ja auch zukaufen. Und damit schlagen wir auch die Brücke zum im 2. Teil vorgestellten „Funkenwerf“-Modell. Die Unzufriedenheit ist in der PYME vorhanden. Sollten nun Unternehmer und Management auch den ersten Schritt des „Feuermachens“, die Grundlage schaffen, sicherstellen können, ist eine reale Chance vorhanden, die Krise zu meistern. Als konkretes Beispiel sei das Integrieren eines international versierten hoch professionalisierten Vorstandes oder Managers genannt. Unser spanischer PYME-Unternehmer muss seinen neuen Kollegen oder Partner voll akzeptieren und schätzen. Er muss ihm gegenüber seine Schwächen eingestehen und nun einmal einsehen, dass nicht er selbst genau weiß, „wo es lang geht“, sondern möglicherweise nur beide gemeinsam. Wichtig: Für diese Aufgaben werden die besten Talente attrahiert und motiviert werden müssen, nicht – wie mir kürzlich ein führender Teeproduzent bestätigte – unerfahrene „becarios“ (Praktikanten), wie man das zu häufig vorfindet. Und kompensieren muss man diese teuren, doch unentbehrlichen Ressourcen im Notfall gar mit eigenen Firmenanteilen.

Genau an dieser Stelle muss in der Praxis noch Einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden. Auch wir in Sánchez & Lehmann sehen uns immer wieder mit Projektanfragen in Sachen Internationalisierung konfrontiert, die wir eben aufgrund dieser fehlenden Einsicht ablehnen. Sollten die Eigner oder/und der Verwaltungsrat (Consejo de Administración) nicht vollständig hinter dem Innovations-, Restrukturierungs- oder Internationalisierungsprojekt stehen und auch nicht gewillt sein, gerade in Krisenzeiten erhebliche Opfer in Kauf zu nehmen, raten wir von jeglicher Beteiligung ab.

Zusammenfassend haben wir in Teil 1 die spanische Wirtschaftslage überblickt und einen Teufelskreis der PYME ausgemacht (mangelnde Wettbewerbsfähigkeit – geringe Internationale Positionierung – ausbleibende Finanzierung) .Teil 2 hat das Funkenwerf-Modell als Ansatz in Krisenzeiten vorgestellt. In diesem 3. Teil haben wir auch erörtert, unter welchen Umständen Wandel gute Erfolgschancen hat. Kommende Artikel geben eine Antwort auf die Fragen: An welcher Stelle im Teufelskreis der PYME können wir nun ansetzen, um den größtmöglichen Wertgewinn zu generieren? Und wie setzten wir dies erfolgreich um? Es würde mich nicht wundern, wenn einige unter Ihnen sogar zu dem Schluss gelängen: „Spanien ist derzeit eines der spannendsten Länder Europas für hochqualifizierte und erfahrene Entrepreneurs bzw. solche, die etwas bewegen möchten.“

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