SCHREIBWETTBEWERB: Der Anfang.Oder war’s das Ende?

21.07.2013 - Lisa Heidenreich 

Hiermit geben wir den Gewinner des Schreibwettbewerbs von der Buchhandlung Auryn für Kürzestgeschichten "Ein(e) Deutsche(r) / Deutsche in Spanien " bekannt.

Wir fanden es sehr schwer, unter den eingesendeten Texten die besten herauszusuchen.  Wir möchten noch einmal allen Teilnehmern herzlich für ihr Engagement danken.

Die Gewinnerin ist Lisa Heidenreich. Herzlichen Glückwunsch! Und das ist ihre Geschichte:

Es ist viertel nach 9. Karen steht an der Ampel. Einige Leute gehen bei rot rüber. Macht nichts. Karen bleibt stehen, bis die Ampel grün wird. Sie hat sich heute eine dünne blaue Bluse mit roten Schmetterlingen angezogen, einen Jeansrock und kleine Sommerschuhe, passend in rot. Es ist zwar erst Mai, aber hier gibt es keinen rechten Frühling. Es gibt z. Zt. nur kalte oder warme Tage. Heute ist also ein warmer Tag.
Es wird grün, Karen geht los. Rechts an der Hand zieht die 2-Jährige Anna. Kurze Beine gehen nicht so schnell. Suse zieht an der linken Hand. 5-Jährige gehen ungern an der Hand über eine Ampel. Darüber haben sie schon zu oft gestritten und da hat Suse irgendwann kapituliert. Aber ziehen, das geht trotzdem.
Hin- und hergezerrt kommt Karen an der anderen Straßenseite an. Suse reißt sich los und rennt.
Krrrrrrrrrrr der Trolley, den sie hinter sich herzieht, knarzt über den Gehweg. Anna fängt an zu quengeln, sie könne nicht mehr laufen. „Mama, Arm!“ Auf dem Arm ist es besser. Das sieht wohl jeder ein. Also wenn Karen die Möglichkeit gehabt hätte sich tragen zu lassen, sie hätte auch danach gefragt. Gibt es für Karen nicht. Aber für Anna. Also ab auf den Arm. Mama trägt.
An der nächsten Kreuzung wartet Suse ungeduldig. Rechts, links, rechts, kommt kein Auto? Dann können sie gehen. Auf der anderen Straßenseite ist Suses und Annas Schule und Kindergarten. Hola, qué tal? Sie sind spät, aber die Tür steht noch offen.
Suse schon weg. Wo war noch der Kuss von Mama, der am Anfang des Schuljahres noch so wichtig war, dass man die ganze Schule zusammengebrüllt hat? Vergessen! Auch gut, denkt sich Karen. Jetzt noch Anna in ihrer Gruppe abgegeben. Küsschen, winke winke, umdrehen und weitergehen, egal was man hinter sich hört! Das fällt manchmal sehr schwer und an einigen Tagen ist es ok. Heute erträglich.
Anna quengelt nach Mama, fängt an zu weinen, aber da hat Karen schon die Tür erreicht und schließt sie hinter sich.
Draußen auf dem Schulhof kitzelt ein warmer Lufthauch Karen an den Beinen, vor Allem da wo, die Haare so dünn sind, dass Karen sie nicht rasiert. Das tut gut. Langsam entspannt sich Karens Schritt.
Noch ein großer Schritt über den Balken der Schultür, dann geht die schwere blaue Tür hinter Karen zu. Rumms.....

Nichts weiter.

Kein Geräusch, kein Lufthauch, kein Geruch, kein Bild.

Einfach nichts.

Mhhhh.

Ah, Gedanken sind noch da. Ist’ n Ding! Ich heiße Karen Walder, bin 34 Jahre, habe 2 Kinder, einen Mann. Wir leben in Madrid. Madrid, genau, es sollte laut sein, und warm und auch nach was riechen .... nichts.
Ok, überlege, was ist passiert? Ich bin aus der Schultür raus. Die Sonne hat mich geblendet. Nichts gesehen für einen kleinen Augenblick. Nee, da ist es passiert. Genau in dem Augenblick, als ich wieder hätte etwas sehen müssen. Wenn die Sonne hinter den Blättern des Baumes auf der anderen Straßenseite Schatten auf mein Gesicht hätte werfen sollte, da muss es passiert sein.

Aber was?
Auf der anderen Seite der Tür war zufällig eine Störung im Raumzeitkontinuum und nun bin ich in einer anderen Dimension ... da kann man schon mal ..... ach quatsch!

Logisch bleiben, die Wahrscheinlichkeit, dass sich alles um mich herum ändert und in Nichts auflöst ist doch eher gering. Es ist was mit mir!

Ich habe einen Nervenzusammenbruch! Das muss es sein! Ich bin umgekippt. Direkt vor der Schultür liege ich jetzt.
Da sollte mich schnell jemand finden. Ich war ja wohl nicht die letzte Mutter, die ihre Kinder abgegeben hat. Oder doch? Schlechte Mutter? Ha! So werden also schlechte Mütter bestraft, die ihre Kinder als Letzte in der Schule abgeben. Die findet nämlich die nächsten 4 Stunden keiner, weil keiner aus der Schultür geht bis mittags. Vielleicht hat ja eine Klasse Sport oder Schwimmen außerhalb? Oder
jemand hatte einen Wasserrohrbruch und bringt sein Kind doch später als ich. Der wird ja wohl nicht über mich rüber steigen, oder doch?

Ich warte erstmal ab. Mir fehlt es ja an nichts. Also das ist so natürlich nicht korrekt, denn es fehlt mir eigentlich an Allem, vor allem Sinneseindrücken, aber die ersten Minuten davon wird eine gestresste Mutter ja wohl noch genießen dürfen. Sonst ist ja immer kompletter Sinnesoverload. Da gleicht dies hier mal aus.
Man soll ja davon verrückt werden, wenn einem alle Sinneseindrücke fehlen. Ich aber werde mal
gucken wie lange das dauert. Mich wird ja wohl auch bald jemand finden. 4 Stunden Ohne, hört sich jetzt erst mal als Maximum gar nicht schlecht an. Einfach fallen lassen und das Nichts genießen.

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