NUTZWERT: Berge voller Geschichte

16.03.2009 - Reiner Wandler 

"Bist es du, Guadarrama, alter Freund, die grau und weiße Sierra, die Sierra madrilenischer Nachmittage, die ich blau gemalt sah?"

Den Blick, den der spanische Dichter, Antonio Machado, beschreibt, bietet sich jedem, der die Strapazen auf sich nimmt, um einen der Berge der Sierra Guadamarra zu besteigen. Diese kleine, aber dennoch bis zu 2 430 Meter hohe Bergkette liegt 50 Kilometer nördlich der Hauptstadt Madrid. Die Sonne flirrt über den von hellem Grau in dunkles Blau übergehenden Gipfeln. Es riecht nach Thymian. Das Zirpen der Grillen ist allgegenwärtig. Ein angenehmer Wind macht die stechende Sonne des Südens erträglicher.

Ob die Dichter der Generation von 1898 oder der von 1927 - die Sierra war für alle ein Pflichtprogramm. Hier holten sich neben Antonio Machado Autoren wie Azorín, Pío Baroja oder der Philosoph Miguel de Unamuno ihre Eindrücke. Sie wurden nicht müde, den schmalen Gebirgszug mit seinen runden Gipfeln und den zackigen Felslandschaften zu beschreiben.

Die Berge bei Madrid verkörperten für die Intellektuellen der 1898- Generation und für ihre Erben das Neue, den Aufbruch inmitten einer nationalen Sinnkrise. Das spanische Imperium in Übersee verfiel. 1898 machte sich mit Kuba die letzte Kolonie unabhängig. Die 98er-Generation suchte eine Antwort auf die Frage, was denn Spanien fortan sein sollte. Sie folgten den Schritten des Pädagogen Francisco Giner de los Ríos, der die Berge bei Madrid entdeckte. Er organisierte in den 1880-Jahren lange Wanderungen durch die Täler und Wälder und über die Höhen der Sierra.

Der Kontakt mit der Natur sollte helfen, neue, freiere und vor allem von Religion und Politik unabhängigere Menschen zu bilden. Individuen, die in der Lage sein sollten, Spanien zu erneuern. So proklamierte es die von Giner und Freunden gegründete Institution der Freien Erziehung.

Überall entstanden kleine Gruppen von Wanderern und Bergsteigern. Beeinflusst von den großen Entdeckern der Alpen und dem arktischen Norden zogen sie mit Rucksack und bald auch mit Steigeisen und Skiern ausgerüstet in die Sierra, um dort ihre eigenen Abenteuer zu leben. Es war der Grundstein für den spanischen Alpenverein. Unter jenen Pionieren war so mancher Zugezogene aus Norwegen, Deutschland oder der Schweiz. Namen wie "Camino Schmid" (Schmid-Weg) oder die "Loma del Noruego" (Bergrücken des Norwegers) zeugen bis heute davon.

Längst sind sie vorbei, die Zeiten, in denen es nur wenige in die die Berge zog. Passstraßen und eine Schmalspurbahn führen bis auf 1 860 Meter. Zehntausende von Menschen aus dem Großraum Madrid, mit sechs Millionen die am dichtesten besiedelte Region Spaniens, gelangen so Wochenende für Wochenende in die Sierra. Im Sommer laden Wiesen, Wälder und Gipfel zum Wandern. Im Winter zieht es die Madrilenen in zwei Skigebiete. Es sind kleine Stationen, verglichen mit denen in den Pyrenäen oder der Sierra Nevada. Und dennoch haben sie große Geschichte geschrieben. Auf den Hängen des Puerto de Navacerrada trainierten einst die Geschwister Francisco und Blanca Fernández Ochoa. Ersterer gewann 1972 bei den Olympischen Spielen in Sapporo eine Goldmedaille im Slalom. Seine Schwester holte 20 Jahre später in Albertville Bronze in derselben Disziplin.

Doch trotz des Trubels gibt es sie noch, Antonio Machados "Kiefernwälder, wo der Wind pfeift, und die Hänge voller Thymian, wo die goldenen Schmetterlinge tanzen". Wer sie finden will, braucht nur ein Paar Wanderschuhe, genügend Wasser, ein Bocadillo und etwas Ausdauer, um die Sierra de Guadarrama abseits der Straßen und der Bahnlinie zu entdecken.

Reiner Wandler hat einen Wanderführer über die Sierra de Guadarrama veröffentlicht. Die dort beschriebenen 20 Routen sind alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. "Guadarrama En Tren Y En Bus". Desnivel, Madrid, 2007, 144 Seiten, 12,50 Euro.

Tourenvorschläge:

Peñalara

Die Wanderung auf den mit 2 430 Meter höchsten Gipfel der Sierra de Guadarrama beginnt in Cotos, der Endstation der Zuglinie C9 des Madrider Nahverkehrsnetzes. Ein breiter Weg führt durch den Naturpark auf den Bergrücken der Dos Hermanas. Von dort auf einem Pfad hinauf auf den Gipfel. Auf dem selben Weg zurück. Dauer: vier Stunden. Anstieg: 600 Meter.

Valsaín / Cercedilla

Diese Route nahmen einst die Könige, um von ihren Sommerpalästen in Valsaín und La Granja, auf der Nordseite der Sierra de Guadarrama, zurück in die Hauptstadt zu gelangen. Wir fahren mit dem Bus von Madrid nach Valsaín (Abfahrt am Busbahnhof Principe Pío). Vom Ortskern in Valsaín geht es auf einen Bergrücken (Cruz de la Gallega) und dort auf einem breiten Waldweg und später auf dem PR-M/SG 19 hinauf zum Pass Fuenfría. Auf der anderen Seite führt eine alte Römerstraße hinunter ins Tal. Von hier sind es nur noch wenige Kilometer nach Cercedilla, von wo es mit dem Nahverkehrszug zurück nach Madrid geht. Dauer: fünf Stunden. Anstieg: 600 Meter.

San Rafael / El Escorial:

Diese Wanderung bietet herrliche Aussichten. Von San Rafael - an der Bahnlinie Madrid-Segovia - geht es auf dem GR 88 bis zum Collado Hornillo. Von dort hinauf auf den Cerro de la Salamanca. Jetzt auf dem GR 10 immer auf dem Bergrücken Richtung Süden, vorbei am Kreuz im Valle de los Caídos, über den Aussichtspunkt San Juan (1 734 Meter) bis zum Gipfel von Abantos (1 753 Meter) hoch oben über dem Kloster von El Escorial. Von dort auf dem GR 10 hinunter nach San Lorenzo de El Escorial. Im Bus oder Nahverkehrszug zurück nach Madrid. 7 bis 8 Stunden Anstieg: 1 000 Meter.

Wer lieber klettert als wandert, auch für den bietet die Sierra de Guadarrama einiges. La Pedriza in Manzanares El Real ist einer der schönsten Klettergärten für Fanatiker des Reibungskletterns. Wer es lieber klassisch mag, und seine Klemmkeile selber legen kann, dem seien die Felsen rund um die Laguna Grande de Peñalara unweit von Cotos, der Endstation der Nahverkehrslinie C9, empfohlen.

Achtung, im Winter sind in den Höhenlagen der Sierra Steigeisen und Pickel erforderlich. Die Berge gehören dann den Skiwanderern und Eiskletterern.

Öffentlicher Nahverkehr in und um Madrid: http://www.ctm-madrid.es/
Bücher und Karten

Foto: Reiner Wandler

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