INTERVIEW: Beim Gebären sollte so wenig wie möglich eingegriffen werden

12.11.2007 - Clementine Kügler 

In Valencia 1947 geboren, in Madrid aufgewachsen, im Exil in Paris und Berlin während der Franco-Zeit, betreut Olga García heute Privatpatienten in ihrer sonnigen Praxis im historischen Madrider Arbeiterviertel Vallecas. Sie hat in Berlin Medizin studiert und am Krankenhaus gearbeitet, spricht Spanisch, Französisch und Deutsch. 

Was hast du aus Deutschland mitgebracht?

Ich habe aus Deutschland viele Kenntnisse mitgebracht und einen großen Respekt gegenüber dem Patienten und sehr viel menschliches Verständnis. Das ist hier oft noch anders im Verhältnis Arzt – Patient.

Warum ist das in Spanien noch anders?

In Spanien fühlten sich lange viele Ärzte direkt unterhalb von Gott angesiedelt. Was sie sagten, wurde gemacht: Du nimmst das, machst das... Ich finde das eine Respektlosigkeit gegenüber dem Menschen, den man vor sich hat. Dieser Mensch hat das Recht, informiert zu werden und hat das Recht, die Entscheidung zu treffen, wie er handeln möchte. In Spanien ändert sich das langsam, aber noch immer gilt: wenn du am 8. November deinen Entbindungstermin hast, dann muss das möglichst eingehalten werden.

Das Thema Gebären in Spanien beunruhigt nicht nur viele deutsche Mütter hier.

Ich meine, man sollte so wenig wie möglich eingreifen. Die Frauen entbinden in der ganzen Welt auch ohne Ärzte. Frauen sind dafür gemacht, Kinder zu gebären und die Kinder sind so weit entwickelt, dass sie den Weg finden. Es gibt Ausnahmen, aber nicht so viele. Die Aufgaben eines Geburtshelfers sollte sein: beobachten, kontrollieren und nur handeln, wenn es unbedingt notwendig ist. Erfahrene Hebammen haben uns bei der Ausbildung den schönen Satz beigebracht: Wenn die Frucht reif ist, fällt sie von alleine. Aber dafür muss man abwarten können und das passt nicht in das heutige medizinische System. Spanien hat die höchste Rate an Kaiserschnitten in Europa und wahrscheinlich in der ganzen Welt. Auf fünf Entbindungen kommt ein Kaiserschnitt.

Aber fordern nicht immer mehr Frauen Alternativen?

Ja, langsam tut sich etwas. Es gibt viele junge Frauen, die wollen, dass ihr Kind natürlich geboren wird. Aber natürliche Entbindungen sind heutzutage in Spanien noch recht teuer, weil das fast nur in privaten Kliniken geht. Oder man hat Glück an einem der großen öffentlichen Krankenhäuser, dass eine Hebamme oder der diensthabende Arzt gewillt ist, sich nicht einzumischen.

Ist die Rolle der Hebammen anders hier?

Hebammen in Deutschland führen die Geburt. Der Arzt ist da, falls es Probleme gibt. In Spanien ist es in der Regel der Arzt, der die Entbindung macht. In Spanien haben Hebammen keine Hochschulausbildung.

Du selbst bist bei der Geburt nicht mehr dabei, oder?

Ich habe viele Jahre als Geburtshelferin die Frauen begleitet. Das mache ich nicht mehr, weil das auf die Dauer eine zu große Belastung für mich ist. Und ich habe jetzt diese Praxis, dann kann ich die Patienten nicht im Stich lassen, um eine vielleicht lange dauernde Geburt zu betreuen.

Verbände wie „El parto es nuestro“ oder die „Liga de leche“ haben inzwischen immer mehr Zulauf. Warum?

Auch das Bewusstsein, wie wichtig das Stillen ist, nimmt langsam zu. Ab und zu sieht man inzwischen wieder stillende Mütter in der Öffentlichkeit. Leider verdient die Milchnahrungsindustrie zu viel Geld, um nicht immer wieder neue Produkte zu erfinden. Dabei hat Muttermilch alles, was das Kind braucht und auch noch die mütterlichen Abwehrstoffe. Die Medizin tendiert dazu, die Kinder zu protokollisieren. Ein Kind muss in der Woche so und so viel Gramm zunehmen, wenn das nicht passiert, dann wird geschimpft. Dabei ist jedes Kind anders. Es nimmt schon zu.

Ist es wahr, dass die schlechte Luft in Madrid für mehr Atemwegserkrankungen bei Kindern sorgt?

Nein, da unterscheiden wir uns nicht von anderen europäischen Ländern. Vielleicht sind wir schon so abgehärtet, dass sich das nicht auswirkt, wenn man hier oft durch die Abgaswolken geht. Was Probleme hervorrufen kann, sind die Milchprodukte. Milchprodukte verschleimen die Kinder! Wir sind die einzigen Lebewesen, die nach dem Abstillen weiterhin Milch trinken und dazu noch Milch von anderen Lebewesen. Das ist das Allerschlimmste. Die Tiere werden mit vielen Chemikalien behandelt, Pasteurisierung macht die Fettkörper so klein, dass sie unseren Darm richtig durchlöchern. Die Zunahme der Darmprobleme heute in unserer zivilisierten Welt kommt nicht vom Fleischverzehr, das kommt von der Milch. Den Bedarf an Kalzium kann man mit Sesamkörnern wunderbar ausgleichen.

Wenn wir drei Dinge befolgen, würden wir alle gesund alt werden: die Ernährung kontrollieren, uns mehr bewegen - das muss nicht Sport sein, in der Sonne spazieren gehen, reicht - und den Stress abbauen.

Die mediterrane Diät soll doch so gut sein.

Mediterrane Diät ist nach wie vor zu empfehlen, aber man muss wissen, was damit ursprünglich gemeint war: die Völker im Mittelmeerraum haben immer Nudeln, Reis, Couscous (Hirse) gegessen und Linsen, Kichererbsen etc. - also Körner und Hülsenfrüchte, mit reinem Olivenöl, das einfettet und bindet. Unser Darm ist nicht auf rohe Produkte eingestellt. Salat ist nur in kleinen Mengen ratsam, da schwer verdaulich. Er müsste unendlich gekaut werden, was niemand tut.

Weshalb hat Spanien dann eigentlich Probleme mit übergewichtigen Kindern, wo es doch diese gesunde Ernährung gibt?

Sie bewegen sich zu wenig und die Merienda hat sich geändert. Früher gab es nachmittags ein Stück Brot mit Wurst oder mit Ölsardinen, heute ist das ein süßes Bollo. Außerdem sitzen sie viel zu viel, spielen mit dem Computer oder Gameboy. Das Herumtoben fehlt.

Zurück zu den Frauen. Was hälst Du von der Hormontherapie in den Wechseljahren?

Ich empfehle chemische Hormone nur dann, wenn alle anderen Produkte, die ich anbieten kann, nicht funktionieren, und behandele dann oft mit ganz geringen Dosierungen abwechselnd mit biologischen Produkten und Homöopathie. Auch da kann man übrigens viel mit Ernährung machen, mit Infusionen.

Ein Schlusswort?

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir alle unseren normalen Menschenverstand benutzen und zurückdenken, wie unsere Großmütter und Mütter uns ernährt haben und mit uns umgegangen sind. Wir müssen miteinander sein, nicht nebeneinander leben. Das würde viele Krankheiten vermeiden. Die Menschen brauchen sehr viel Liebe, das kommt viel zu oft zu kurz.

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