HINTERGRUND: Wie die Bourbonen an die Macht kamen

21.09.2007 - Olaf Kroon 

Als der spanische König Philipp IV. von Habsburg am 17. November 1665 in Madrid stirbt, richten sich alle Augen des Hofstaats auf seinen einzigen Sohn und Thronfolger: den jungen Infanten Karl (siehe Gemälde). Der Anblick liess wenig Gutes erhoffen. Karl war ein Produkt der jahrhundertlangen Heiratspolitik des Hauses Habsburg.Immer wieder waren Cousin und Cousine ersten Grades, Onkel und Nichten vermählt worden, um das riesige Reich zusammenzuhalten und den Verlust von Territorien an andere Herrscherhäuser zu vermeiden. Von den acht Urgrosseltern Karls waren sieben untereinander blutsverwandt. Sie stammten alle direkt von Johanna der Wahnsinnigen ab, der Mutter Kaiser Karls V. Karls Eltern bildeten hier keine Ausnahme. Sein Vater König Philipp IV. hatte seine leibliche Nichte, Maria Anna von Österreich, zur Frau genommen. Somit war Maria Anna nicht nur Karls Mutter, sondern zugleich seine Cousine.Die Folgen waren fatal. Die untere Gesichtshälfte des jungen Prinzen war deformiert; er konnte sein Leben lang nicht kauen. Seine Zunge war zu lang, um klare Sätze zu artikulieren, und er sabberte noch als Erwachsener häufig. Mit fünf Jahren konnte Karl noch nicht laufen, mit neun noch nicht schreiben. Denn um den schwächlichen Jungen, dem man sowieso wenig Überlebenschancen einräumte, nicht zu überfordern, liess man ihm keinerlei Erziehung zukommen. Der Infant streunte ungekämmt durch die Palastanlagen und trug Windeln, bis er 10 Jahre alt war. Immer wieder wurde er von starken Fieberschüben ans Bett gefesselt. Wenn Karl an der frischen Luft war, begannen seine Augen zu eitern. Bereits mit Anfang 30 sollte er lahm, senil und vollkommen kahl sein; zudem litt er unter Impotenz und war Epileptiker.Nach dem Tod Philipps IV. übernahm Karls Mutter zunächst die Regentschaft für den damals Dreijährigen. Mit 14 Jahren war Karl offiziell volljährig und Herrscher über Spanien, fast ganz Italien und die Überseeterritorien der spanischen Krone, die von Mexiko bis zu den Philippinen reichten, ohne je im geringsten auf seine Herrscheraufgabe vorbereitet worden zu sein.Nun kam Karls Halbbruder Juan José de Austria, ein illegitimer Sohn Philipps IV. und bislang Generalstatthalter von Aragón, nach Madrid, vertrieb Karls Mutter vom Hof und regierte das Reich als Erster Minister. Auch nach Juan Josés Tod im Jahr 1679 übernahmen andere das Regieren, denn der Monarch selbst interessierte sich nicht für Staatsgeschäfte und streifte lieber jagend durch die Wälder.Eine Aufgabe musste er allerdings wohl oder übel doch persönlich übernehmen: das Königshaus brauchte einen männlichen Thronfolger. Der geistig wie körperlich zurückgebliebene Karl II., der auch auf persönliche Hygiene wenig Wert legte, wurde achtzehnjährig mit der schönen und klugen Maria Luisa von Orléans verheiratet. Die Ehe blieb kinderlos. Die Schuld hierfür konnte natürlich nicht beim König liegen, also schob man sie seiner Ehefrau zu.Maria Luisa wurde von den Leibärzten mit allerlei Tränken und Wundermitteln traktiert, mit dem einzigen Erfolg, dass sie sich eine schwere Darmkrankheit zuzog. Der ständige Druck aufgrund der Kinderlosigkeit und das starre und freudlose spanische Hofzeremoniell bedrückte die junge Frau. 1689 starb sie deprimiert mit nur 27 Jahren.Die im Jahr darauf geschlossene zweite Ehe Karls II. mit Maria Anna von Pfalz-Neuburg, einer launischen und zänkischen Tochter des Kurfürsten Philipp Wilhelm von der Pfalz, blieb ebenfalls ohne Nachwuchs. Auch sonst verlief die Regierungszeit Karls II. wenig glücklich. Die Wirtschaft stagnierte, Spanien litt unter Hungersnöten, die Macht des Königs in den Provinzen schwand.1684 ging Luxemburg, 1691 Katalonien an die Franzosen verloren. Die glorreichen Zeiten von Karls Urgrossvater Philipp II., Beherrscher der damaligen katholischen Welt und Erbauer des Escorial, waren längst vergangen. All diese Widrigkeiten führten seine Umgebung und auch Karl selbst darauf zurück, dass er verhext worden sei. Ohne Erfolg liess sich der König wiederholt von Exorzisten behandeln, die ihm die Dämonen austreiben sollten. Bis heute wird Karl II. in Spanien als Carlos el Hechizado, Karl der Verhexte, bezeichnet. Karl II. entfernte sich gegen Ende seines Lebens immer noch weiter von der Wirklichkeit. So liess er etwa seine toten Vorfahren aus der Familiengruft holen, um die verwesten Leichname zu betrachten und stundenlange stumme Zwiegespräche mit ihnen zu führen.Als er am Neujahrstag 1700, fünf Tage vor seinem 39. Geburtstag, als körperliches Wrack starb, stellte der amtliche Leichenbeschauer fest: Sein Körper war ohne jeden Blutstropfen, das Herz erschien von der Grösse eines Pfefferkorns, die Lungen waren zerfressen, die Gedärme verfault und brandig, er hatte nur einen einzelnen Hoden, schwarz wie Kohle, und den Kopf voller Wasser.Mit Karl II starb die spanische Linie des Hauses Habsburg. Nur ein Jahr später begann der Spanische Erbfolgekrieg. Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, stellte namens seines Sohnes, des Erzherzoges Karl von Österreich, Ansprüche auf den vakanten Thron, und wurde dabei von England und Holland unterstützt. Aber auch Ludwig XIV. von Frankreich reklamierte das Erbe für seinen Grossneffen Philipp von Bourbon, den Herzog von Anjou, der zudem von Karl II. testamentarisch als Nachfolger eingesetzt worden war.Elf Jahre lang tobte dieser Krieg, auf vier Kontinenten und allen drei Weltmeeren. Der Franzose setzte sich durch: als Philipp V. bestieg der Herzog von Anjou schliesslich den spanischen Thron. Die Herrschaft der Bourbonen in Spanien hatte begonnen. Noch heute stellen sie mit Juan Carlos I. den spanischen König.

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