HINTERGRUND: Krankes Spanien - Spaniens politische Krise ist vielleicht noch schlimmer als die erdrückende Wirtschaftskrise

27.03.2013 - A. E./ Arena 

Anfang des Monats hat das spanische Justizministerium den katalanischen Generalstaatsanwalt gezwungen, sein Amt niederzulegen. Es handelt sich dabei um ein Amt, das von Madrid aus immer mit einem Juristen besetzt wird, der kein Katalane ist. Er wurde für ein Interview mit einer Nachrichtenagentur bestraft, bei dem er äußerte, dass „dem Volk die Chance gegeben werden muss, seinen Willen kundzutun“. Eigentlich eine harmlose Aussage, bis auf die Tatsache, dass sie im Kontext des Anspruchs der Katalanen fiel, ihre eigene politische Zukunft bestimmen zu dürfen. Er hatte sich auch beeilt, hinzuzufügen, dass er „generell, alle Völker“ damit meine, und hatte ebenfalls klargestellt, dass es in Spanien „keinen rechtlichen Rahmen für ein Unabhängigkeitsreferendum“ gäbe. Doch hat ihn das nicht gerettet. Allein der Gedanke, dass man vielleicht nach einem Weg suchen sollte, die Meinung der Katalanen demokratisch abzufragen, wurde dem Staatsanwalt statt als Binsenweisheit, als Staatsgefährdung ausgelegt und somit zum Verhängnis. So viel zur Unabhängigkeit der spanischen Justiz –von Meinungsfreiheit garnicht zu reden!

Einen Monat vorher, äußerte sich ein General im Ruhestand der spanischen Streitkräfte bei einem Treffen mit anderen hohen Offizieren über die Haltung, die die Streitkräfte gegebenenfalls angesichts der „separatis- tisch-sezessionistischen Offensive in Katalonien“ einnehmen sollten. Dabei kam er zu dem Schluss, dass „das Vaterland wichtiger als Demokratie“ ist. „Patriotismus ist eine Überzeugung, die Verfassung ist nicht mehr als ein Gesetz“. Für seinen Aufruf, der leicht als Einladung verstanden werden könnte, sich über gültige Gesetze hinwegzusetzen oder sogar einen Militärputsch zu rechtfertigen, erhielt er stürmischen Beifall. Aber wie bei ähnlich lautenden Provokationen anderer Militärs aus der jüngsten Vergangenheit, kam von den Zivilbehörden kaum eine Reaktion.

Diese beiden Vorfälle – und die äußerst unterschiedlichen Reaktionen von offizieller Seite – deuten auf grundsätzliche Mißstände in einem demokratischen Staat hin und verraten, dass Spaniens Probleme weit über die zugegebenermaßen verheerende Wirtschaftslage hinausgehen. Und der Auslöser ist in beiden Fällen die Situation in Katalonien.

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Die spanische Wirtschaft befindet sich in einer äußersten Notlage und der Staat hat keinen anderen Plan für die Zukunft, als die wenigen produktiven Regionen kontinuierlich weiter zu plündern, um sich selbst über Wasser zu halten. Viele Katalanen sind davon überzeugt, dass die gegenwärtigen politischen Strukturen ihre Volkswirtschaft mit dem Ruin bedrohen, das Ende einer eigenständigen katalanischen Kultur bedeuten wird und ihr letztlich jedes Unterscheidungsmerkmal als eigene Nation nehmen wird. Die Menschen haben in den letzten Monaten immer weniger Hemmungen, ihre radikale Ablehnung der staatlichen Willkür zu artikulieren. Und auch die gewählten Volksvertreter scheinen sich von der Tradition, jeder Konfron- tation aus dem Wege zu gehen, verabschiedet zu haben. Als Antwort auf den immer stärkeren Druck der Bevölkerung, haben sie einen neuen Weg vorgeschlagen, der, wenn die Wähler so entscheiden, zur Trennung von Spanien führen könnte.

Dabei wünscht sich die katalanische Seite einen gegenseitig ausgehandelten, nach und nach vollzogenen, friedlichen und vor allem demokratischen Prozess und hat der spanischen Regierung ihren Verhandlungswillen angekündigt. Bisher wurden jedoch alle Angebote abgewiesen. Madrid besteht offiziell nach wie vor darauf, dass die einmal (mit spanischer Mehrheit) festgelegten Gesetze strikt eingehalten werden müssen. Eine restriktive (und engstirnige) Auslegung der Verfassung von 1978 wird dazu benutzt, die Befragung des katalanischen Volkes durch ein Referendum als verfassungswidrig abzulehnen.

Die neu entdeckte katalanische Selbstsicherheit hat die schlimmsten Instinkte eines Staates geweckt, der sich bedroht fühlt. Hinter einer vorgetäuscht unbeeindruckten Fassade, nutzt die spanische Regierung alle Tricks, um die katalanische Verwaltung und Regierung zu untergraben und das Volk einzuschüchtern. Das altbekannte Mittel Katalonien finanziell geradzu zu strangulieren, wird nun begleitet von einer politischen und juristischen Offensive gegen die katalanischen Selbstverwaltungorgane und einer Medienkampagne gegen ausgewählte Personen. Darüber hinaus zeigt der erzwungene Rücktritt des Generalstaatsanwalts, dass die Regierung versucht, jeden Hauch von Widerstand auch aus den eigenen Reihen mundtot zu machen. Und die reale oder vorgetäuschte Drohung eines militärischen Eingriffs, wird nutzbringend als Teil der Strategie der Angst eingesetzt.

Die internationalen Beobachter der aktuellen Vorgänge in Spanien, tendieren dazu, sich auf die Wirtschaftslage zu konzentrieren. Ein genauerer Blick auf das politische Stützwerk des Staates könnte allerdings zeigen, dass Spanien, das sich als makellos demokratisches Land herausstellt, nicht wenige der autoritären Gewohnheiten der Diktatur beibehalten hat, aus der es hervorgegangen ist. In der Tat müssen in einem Land gravierende Zustände herrschen, wenn ein General die Streitkräfte dazu aufruft, sich über das Gesetz hinwegzusetzen, und dies widerspruchslos hingenommen wird, während der Apell an das demokratische Grundrecht des Entscheids durch eine Wahl als ein Akt der Aufwiegelung bestraft wird.

(Übersetzung von Thomas Spieker und Til Stegmann vom englischen Original)

Quelle: www.collectiuemma.cat

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