HINTERGRUND: Die spanische Tapakultur

13.10.2007 - Stefanie Claudia Müller 

Alles fing gemäß Volksmund im Königreich Kastilien an. Der dort im 13. Jahrhundert herrschende Alfonso X musste aus gesundheitlichen Gründen alle paar Stunden kleine Häppchen mit ein paar Schlucken Wein zu sich nehmen. Seine Hofköche ließen ihre Phantasie spielen, um seinem verwöhnten Gaumen mit ausgefallenen kleinen Kreationen, sogenannten Tapas, Freude zu bereiten. Seit jeher herrschte zudem in Kastilien bei den Bauern der Brauch vor- und nachmittags zum Wein etwas Kleines, eine Ración (zu deutsch Ration) zu essen, damit der Alkohol nicht so stark wirkte und man danach problemlos weiter arbeiten konnte. Allerdings gibt es auch Experten, die glauben, dass die Tapas, zu Deutsch Deckel, ihren Ursprung daher haben, dass man früher den Wein mit Brot abdeckte. Wie dem auch sei: Daraus hat sich in Spanien eine Esskultur entwickelt, die zunächst nur als einfacher Aperitif gepflegt wurde, inzwischen jedoch komplette Mahlzeiten ersetzt und die Gourmet-Küche erreicht hat. Häppchen sind voll im Trend. Immer mehr Tapa-Bars schaffen es deswegen in den Michelin-Führer. "Seit ein paar Jahren kann man beobachten, dass auch immer mehr Top-Restaurants eine eigene Tapa-Karte lancieren, sich Spitzenköche wie Ferrán Adriá und Juan Mari Arzak immer stärker auf das Kunstwerk der Häppchen spezialisieren und das Interesse ihrer Kollegen, vor allem aus Japan, auf sich ziehen", sagt Juan Manuel Pretel, Besitzer des Codex Calixtinus, ein Gourmet-Restaurant in der Nähe von Segovia. Er selber hat erst vor kurzem eine Tapa-Ecke in seinem Restaurant eröffnet und hat es ebenfalls in den Michelin-Führer geschafft. Im nordspanischen Baskenland ist die Häppchenkultur besonders stark ausgeprägt, dort heißen die Tapas jedoch Pintxos und drangen bereits in den 80er Jahren in die haute cuisine. Sie sind in der Regel etwas größer und reichhaltiger an Gemüse und Meeresfrüchten. Meist haben sie ein Brot als Unterlage. Nicht zu verwechseln mit einem langweiligen Party-Canapé. Hier wird bestes Fleisch verwendet gekrönt mit süßen Zwiebeln und reichhaltigen Soßen. "Pintxos sind unser größtes kulinarisches Erbe", sagt der baskische Starkoch Arzak. Er bietet in seinem Restaurant seit kurzem auch Häppchen-Degustations-Menüs an. Viele der baskischen Pintxos-Bars haben es in den vergangenen Jahren in den Michelin-Führer geschafft, darunter auch die in San Sebastián gelegene Bar Bergara. In dem wunderschönen Badeort, wo man die höchste Dichte an Restaurants mit Michelin-Sternen in Spanien findet, kann man vor allem im Szene-Viertel Gros die beste Miniaturküche finden. Pintxos sind dort inzwischen so beliebt, dass der Branchenverband Asociación de Barman einen Wettbewerb organisiert, der die besten Kreationen kürt. Zum Pintxos und Tapagang ist ebenfalls die Altstadt von Bilbao zu empfehlen, wo sich ab 19 Uhr die Straßen mit Jugendlichen, Studenten und Touristen füllen, die sich mit Tapas auf billige und hochköstliche Weise den Hunger stillen. Im Gatz sind die Pintxos so groß und voll mit Muschelmus und Fischpaste geladen, dass man sie kaum noch auf der Hand und im Stehen essen kann, wie es eigentlich üblich ist. Die kleine von außen unscheinbare Bar gehört ebenfalls zu den Lokalitäten, die es mit ihren preisgekrönten Kreationen in den Michelin-Führer geschafft hat. Im kosmopolitischen Barcelona trumpft auch bei den Tapas-Bar die Autoren-Küche auf. An den baskischen Kreationen kommt aber auch hier keiner vorbei, auch nicht der Bruder von Ferrán Adriá, Alberto, der vor einem Jahr die Tapas-Bar Inopia eröffnet hat. Hier gibt es aber auch Klassiker wie den iberischen Schinken sowie patatas bravas, gebratene Kartoffeln mit einer scharfen Soße. Ein guter Kenner der Miniaturküche ist auch der Adriá-Schüler Carles Abellán. Der Katalane präsentiert seine Kreationen in seinem Restaurant Commerç 24. Das ebenfalls in Barcelona gelegene Espai Sucre beweist, dass Tapas auch süß sein können. Das Restaurant bietet ausschließlich Nachtisch-Miniaturküche an. In Madrid dagegen bestehen Tapas vor allem aus Tortilla, kleinen Frikadellen (albondigas), Oliven, iberischem Schinken, Tintenfischringen und Sardellen, unter anchoas oder boquerones auf der Karte zu finden. Wie in vielen anderen Tapas-Regionen werden die Häppchen an der Bar unter einem Schaufenster ausgestellt. Schon gegen 12 Uhr, wenn die Madrilenen ihr erstes Bier vertilgen, werden Tapas gereicht, bis 14 Uhr, wenn das Mittagessen beginnt. Damit halten sie sich immer noch an die Regel der Bauern aus Kastilien, die zum Alkohol immer etwas essen. Das ist vielleicht auch Grund, warum man in Madrid so wenige Betrunkene sieht. "Wer in Spanien Alkohol trinkt, isst immer dazu, das ist eine goldene Regel" weiß Pretel. Wichtige Adressen: Bar Bergara General Arteche 8 San Sebastián Baskenland Tel.: 0034 - 94 327 5026 Für rund 2,50 Euro je Tapa kann man sich hier den Gaumen verwöhnen, Raciones sind ab acht Euro zu haben. Liegt im Gourmet- und Szene-Viertel Gros. Die Bar wurde mehrmals mit Preisen ausgezeichnet. Gatz Santa María 10 Bilbao Baskenland Tel.: 0034 -94 415 4861 Die kleine unscheinbare Bar, die auch über ein paar Sitzgelegenheiten verfügt, ist in der Altstadt von Bilbao gelegen. Auf der offenen Auslage liegen die kalten und warmen Kreationen aus. Jeder kann zugreifen. Die flinken Kellner machen eine Strichliste. Txapela Passeig de Gracia 8-10 Barcelona Tel.: 0034-93 412 0289 Typische baskische Pintxos-Bar, die sehr zentral und schön gelegen ist. Sie verfügt über eine angenehme Außen-Terrasse. Schon für 1,45 Euro kann man hier ein Häppchen haben. José Luis Paseo de San Francisco de Salas 14 Madrid Tel.: 0034 - 91 44 10432 Hier findet man die Madrider Klassiker unter den Tapas wie gebratene Sardellen, die sogenannten Boquerones. Zudem kann man zwischen vielen sehr guten iberischen Schinken wählen. Eine schöne Sommerterrasse machen den Tapagang, das "ir de tapas", wie die Spanier es nennen, noch angenehmer.

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