HINTERGRUND: Die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens

24.11.2012 - Mona Hafez / Madrid für Deutsche 

Die Wirtschaftskrise hat Südeuropa fest im Griff. Besonders stark sind Spanien und seine Autonomen Gemeinschaften betroffen. Auch die Autonome Gemeinschaft Katalonien leidet unter den Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Seit der Eurokrise ist Katalonien die höchst verschuldete Region Spaniens, obwohl sie am meisten zum BIP beiträgt.
Die Abhängigkeit von der Zentralregierung in Madrid verstärkt bei vielen Katalanen den Wunsch nach einem unabhängigen Staat. Das katalanische Streben nach Unabhängigkeit ist keineswegs eine Erscheinung der Moderne, sondern ist seit mehr als 300 Jahren Thema auf der politischen Agenda.

Der historische Hintergrund

Im 10. Jahrhundert löste sich Katalonien von der westfränkischen Feudalherrschaft, wurde eigenständig und behielt diese Eigenständigkeit bis Anfang des 18. Jahrhunderts bei. Zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert bildeten Katalonien und das Königreich Aragón eine Konföderation unter der Krone Aragóns. Jene Konföderation war zur damaligen Zeit eine der führenden Handelsmächte im Mittelmeerraum.
Nach dem Zerfall der Krone Aragóns und dem Ende einer 200-jährigen Konföderation mit Spanien verlor Katalonien zu Beginn des 18. Jahrhunderts endgültig seine Eigenständigkeit. Im Spanischen Erbfolgekrieg, 1714, eroberten die vereinten Armeen der bourbonischen Könige, Katalonien mit Waffengewalt. Im Zuge der Eroberung endete die katalanische Selbstverwaltung und sämtliche politischen, kulturellen und juristischen Institutionen wurden verboten. Sogar der öffentliche Gebrauch der katalanischen Sprache war nicht länger gestattet.
Seit dem Erbfolgekrieg konnte Katalonien keine Unabhängigkeit mehr erlangen und untersteht den Weisungen der spanischen Zentralregierung nun schon über 300 Jahre. Während dieser Zeit wurde die Region immer wieder mit Waffengewalt unterdrückt und zeitweise wie eine Kolonie behandelt.

Der katalanische Autonomiestatus

Nach dem Ende des Franquismus wurde Katalonien 1978 der Status einer Autonomen Gemeinschaft innerhalb des spanischen Staats zugesprochen. Als Autonome Gemeinschaft verfügt es über ein hohes Maß an eigenen Befugnissen in Gesetzgebung und Verwaltung. Beispielsweise über eine eigene Polizeieinheit, die Mossos d´Esquadra, welche die Aufgaben der spanischen Polizei in Katalonien übernimmt. Auch in der Bildungs-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik hat Katalonien weitreichende Kompetenzen, die im Autonomiestatut niedergeschrieben sind. Das Autonomiestatut ist eine Art katalanische Verfassung. 2006 wurde eine Neuauflage des Autonomiestatuts von 1978 beschlossen, in welcher Katalonien weitere Kompetenzen übertragen wurden.
Seit dem Autonomiestatut von 1978 ist Katalanisch neben Spanisch die offizielle Amtssprache in Katalonien. Jedoch sind spanische Beamte, beispielsweise Richter, welche in Katalonien arbeiten, nicht dazu verpflichtet die katalanische Sprache zu verstehen. Dieses Faktum wäre in anderen Regionen Europas undenkbar. In Spanien selbst wird das Katalanische mehr als ein spanischer Dialekt wahrgenommen und wird somit auch als ungeeignet für Kultur und Wissenschaft angesehen. Dieser Umstand trifft die Katalanen ins Mark, da besonders ihre Sprache als identitätsstiftend für die eigene Kultur gilt.

Das Volksbegehren in Katalonien

Aufgrund der Wirtschaftskrise im Euroraum befindet sich die katalanische Bevölkerung in existentiellen Nöten. Viele Katalanen sehen die innerstaatlichen Transferleistungen als Grund für die hohe Staatverschuldung der wirtschaftsstärkten Region Spaniens. Die Arbeitslosenquote ist in den letzten zwei Jahren von 7 auf über 17 gestiegen. Die schlechten Zukunftsprognosen und die wirtschaftliche Schieflage führen in Katalonien zu einer erstarkenden Unabhängigkeitsbewegung.
Am 11. September 2012 wurde in Katalonien der Nationalfeiertag unter dem Motto „Catalunya nou Estat d‘Europa“ (Katalonien, ein neuer Staat in Europa) begangen. In Barcelona wurde dieser Feiertag gleichzeitig zum Anlass für eine Großdemonstration genommen, bei der über 2 Mio. Teilnehmer für die Unabhängigkeit Kataloniens demonstrierten. Am darauf folgenden Tag erklärte Ministerpräsident Artur Mas in einer offiziellen Stellungnahme, dass nun die Zeit reif sei, um Katalonien mit "staatlichen Strukturen" zu versehen.

Die aktuelle Situation

Geht es neben aller historischen Rhetorik von Kultur und eigener Identität vielleicht doch vorrangig um wirtschaftliche Interessen? Katalonien ist in Spanien und Europa eine der wirtschaftsstärksten Regionen. Neben den touristisch gut erschlossenen Gebieten an der Costa Brava und der Costa Dorada ist Barcelona ein wichtiger Industriestandort. Im Kaufkraftindex der EU erreicht Katalonien überdurchschnittliche 120 Punkte (EU 27 = 100).
Laut des Statistikamtes Idescat werden jährlich 10 des katalanischen BIP an Spanien überwiesen. Die Regierung Mas rechnet vor, dass Katalonien als unabhängiger Staat heute finanziell weitaus besser dastehen würde, als mit dem derzeitigen Autonomiestatus. Es ist ein Fakt, dass die Region mehr Geld an die Zentralregierung überweist, als sie von ihr zurückbekommt. In den letzten zwanzig Jahren betrug die Differenz über 200 Mrd. Euro.

Die Zukunft Kataloniens

Regierungschef Artur Mas setzte für den 25. November 2012 Neuwahlen an, zwei Jahre früher als vorgesehen. Jüngste Umfragen geben Mas Rückenwind und sagen der nationalistischen Regierungspartei CiU einen klaren Wahlsieg voraus. Vor allem die Tatsache, dass Mas ein Plebiszit über die Unabhängigkeit Kataloniens abhalten will, verhilft ihm zu vielen Stimmen. Eine von der Regionalregierung in Auftrag gegebene Umfrage ergab, dass 74 der Katalanen die Unabhängigkeit befürworten. Im Juni 2012 hatten bei einer ähnlichen Befragung nur 51 die Gründung eines selbstständigen katalanischen Staates befürwortet.
Es bleibt abzuwarten, wie die Wahlen ausgehen. Die Regierung Mas weiß, dass ein Votum in Katalonien mit eindeutigem Ausgang für die CiU die Zentralregierung enorm unter Druck setzen wird. Die spanische Zentralregierung um Staatschef Mariano Rajoy kann zu weiteren Zugeständnissen in der Unabhängigkeitsfrage gezwungen werden. Allerdings wird Artur Mas auch bewusst sein, dass die Anerkennung Kataloniens als unabhängiger Staat innerhalb der EU schwer umsetzbar ist. Spanien und Katalonien stehen interessante Neuwahlen mit ungewissem Ausgang bevor.

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