Warum gibt es keinen Hype um Merkel?

31.01.2009 - Charlotte Titze Sánchez - Schülerin der Deutschen Schule Madrid 

Mein Flug war bereits seit Mo­na­ten gebucht. Der Rucksack fertig gepackt.
Nichts konnte mich und Millionen andere Deutsche aufhalten auf unserem Weg nach Berlin, die Stadt in der in zwei Tagen die Vereidigung der Bundeskanzlerin stattfinden würde. Der Flughafen Barajas glich dem Rhein-Main-Flughafen. Nie hatte ich so viele Deutsche auf einmal in Spanien gesehen. Das, was sich vor meinen Augen abspielte, schlug alles, was ich von Mallorcas Stränden kannte. Alles glänzte Schwarz-Rot-Gold und war heiter. 

Ich selbst trug, um zu diesem gemeinschaftlichen Gefühl beizutragen, ein T-Shirt, auf dem das Motto der Kanzlerin zu lesen war: "Wir gehen gemeinsam!".
Wir schienen alle Brüder und Schwestern zu sein, die sich auf eine Pilgerfahrt machten. Wie es sich nach einem Telefonat mit Bekannten in Berlin herausstellte, waren auch dort schon Hotels und Herbergen so voll, dass die Berliner Bürger, so als wären wir alle eine große Familie, herzlichst ihre Couch und Gästezimmer zur Verfügung stellten. 

Ich aber hatte andere Pläne. Ich hatte mein Zelt eingepackt und würde wie viele andere auf dem improvisierten Zeltplatz vor dem Reichstag mein Lager aufschlagen. Trotz der kurzen Dauer der ganzen Sache, eineinhalb Tage, hat es sich jetzt schon gelohnt. Leinwände und Fanmeilen à la Weltmeisterschaft schmückten die ganze Stadt, von Pankow bis Neukölln und von Spandau bis nach Köpenick. Vor dem Bundeskanzleramt war eine Riesenbühne aufgebaut, das Programm ging von Sido bis Udo Lindenberg, über Nina Hagen bis zu Jeanette Biedermann, alle werden Sie da sein, um mit den Massen zu feiern. 

Wir waren uns alle bewusst, dass die Kanzlerin es nicht leicht haben würde. Die wirtschaftliche Krise würde viele persönliche Entbehrungen mit sich bringen, würde aber nach den Worten der Kanzlerin auch eine Chance für unser Land bedeuten. Als dann nach der Vereidigung Millionen von Menschen samt des Kanzlers in Berlin die Nationalhymne anstimmten, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Dieses Gefühl der Einheit würde uns auch durch die Schwierigkeiten der Zukunft leiten. 

Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen und sprachen sich Zuversicht zu, während ein merkwürdiges Geräusch immer lauter wurde. Mein Handy war es nicht.
Ich schaute über meine Schulter, und plötzlich, wachte ich auf. Oh! Mein Wecker, der sich dazu entschieden hatte, mich unsanft in die Realität zurückzuwerfen. Mist! Alles nur ein Traum! Aber warum eigentlich? Wieso haben wir keine Politiker, die uns überzeugen? Die mit uns sprechen wie Barak Obama es tut? Die so „echt“ sind, dass sie ihre Reden selbst schreiben können, ohne alles immer abzuwägen? 

Die Deutschen waren doch so begeistert nach Obamas Besuch in Berlin, dass man meinen konnte. bei der nächsten Bundestagswahl ähnliche Versprechen und Appelle hören zu können. Trotzdem wird es nicht so sein. Warum? Vielleicht liegt es an dem deutschen Parteiensystem, dass jeden noch so engagierten Menschen nach ein paar Jahren rundgelutscht hat und seines Charakters beraubt.
 
Meiner Meinung nach, sollte jedem die Chance gegeben sein, Gehör zu finden und vom Volk direkt gewählt zu werden. Ich weiss zwar, dass Adolf Hitler gerade so direkt zur Macht kam, aber ich denke, dass wir als Nation so viel dazugelernt haben, dass wir heute dazu im Stande sind, echte Politiker von Volksverführern zu unterscheiden. Wir müssen dennoch selbst was dazu beitragen. Wir müssen uns von der Sichtweise, die wir von Politikern und Politik haben, lösen. Wir müssen uns mehr engagieren für Soziales und das Miteinander. Denn wir sind das Volk, wir können was verändern, wenn wir es wirklich wollen.

Kommentare (8) :

Kommentar von stefanie 31.01.2009

Kommentar von Deike 03.02.2009

Kommentar von Carsten 03.02.2009

Kommentar von Daniel 04.02.2009

Kommentar von Esteban 12.02.2009

Kommentar von Ralf 13.02.2009

Kommentar von stefanie 13.02.2009

Kommentar von Esteban 14.02.2009

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