Studieren in Spanien: ein wahres Erlebnis

06.03.2009 - Paul Stadelhofer - Philosophie-Student 

Als ich mit meinem Studium angefangen habe, wunderte ich mich darüber, warum an meiner Fakultät ein „Hunde verboten“-Schild angebracht ist. Ob die Freaks hier tatsächlich ihre Hunde mit in die Uni bringen? Sie machen es nicht, habe ich festgestellt und für deutsche Verhältnisse wäre mir das doch sehr „spanisch“ vorgekommen. 

„Als ich mit meinem Studium angefangen habe, gab es noch kein Rauchverbot in der Fakultät“, sagt hingegen meine spanische Freundin Ana. „Wenn Du aus einem Seminar gegangen bist, war schon der ganze Flur verraucht und zu Weihnachten an der Fakultät haben sich ein paar Professoren so lange betrunken, bis sie mit der Gitarre in der Hand laut singend in der Cafeteria gesessen sind.“
 
Hier an der Complutense in Madrid scheint eben einiges anders zu sein als an meiner Uni in Deutschland und damit meine ich nicht nur, dass schon morgens um halb elf Whiskey in der Fakultätscafeteria bestellt werden kann – mit Eiswürfeln versteht sich. Damit meine ich zum Beispiel den Müll essenden und werfenden Obdachlosen, der offenbar direkt in meiner Fakultät wohnt. Er ist es auch, der die Studenten – ganz abgesehen vom Bolognaprozess - am meisten stört. Nicht die „Rauchen verboten“ Schilder, mit denen sie Frisbee spielen, wenn sie nachts aus Protest gegen Bologna im Foyer der Fakultät zelten.
 
Meinen blinden Professor für Erkenntnistheorie stören sie damit nicht. Ebensowenig stören sie ihn damit, dass sie in der Cafeteria mit Trommeln und Gitarren lauter sind als die „Sex Pistols“ oder die „Doors“, aus den Lautsprechern. Nur wenn sie das im ersten Stock vor der Bibliothek machen, fragt er mürrisch, ob es denn keine sinnvollere Beschäftigung in der Uni gebe. Müsste er sich nicht alleine auf sein Gehör verlassen und würde unser Seminar nicht zwei Türen weiter abgehalten, wäre aber auch er als letzter Widerstand gebrochen. 

Als einziger Störenfried neben dem Müll werfenden Obdachlosen von vor der Cafeteria, der ominöserweise nur auf Deutsch rumbrüllt. Zugegeben. Selbst, wenn ich die Themen Sex und Drogen großzügig verschweige, hört sich das alles obskurer an, als es ist. Schließlich haben die Wissenschaftler hier durchaus interessante Ansätze und mit dem Kombinationsmaster der „Philosophie und Psychoanalyse“ gehen sie vermutlich sogar ganz neue Wege. Vermutlich ist meine Fakultät auch kein unangenehmer Ausnahmefall an der UCM. 

Dass ich auf dem Heimweg zur Metro auch schon an anderen Fakultäten Menschen gesehen habe, die aus Müllcontainern essen, scheint mir Beweis genug dafür. Im Prinzip begegnen mir diese Menschen aber eher selten. Ebenso wie die Erasmus- Studenten, die sich schon in der Vor-Uni-Sprachkurs-Zeit zusammengerottet haben, um gemeinsam auf den Parties des „Erasmus-student-networks“ ihre Nächte durchzutrinken oder von Spaniern abgeschleppt zu werden. 

Ich für meinen Teil hatte mich damals von Ihnen ferngehalten. „Schließlich will ich Spanier kennenlernen und in meiner Entwicklung weiter kommen, während ich hier bin“, habe ich allen erklärt. „Etwas bewegen, das mir wichtig ist. Erfahrungen sammeln für mein Leben“, habe ich gesagt. Erfahrungen. Ohh ja! Dass meine Chefin nun doch Deutsche ist, und darüber schimpft, wie unkoordiniert es an meiner Gast-Universität zugeht, habe ich damals nicht erwartet. 

Meine spanische Freundin Ana sieht das aber gelassen. Im kommenden Semester schließt sie ihr Studium hier ab und dass sie weit mehr über Kant und Heidegger weiß als ich, gibt ihr Recht. „Im Grunde leben wir nämlich hier doch in Harmonie“, sagt sie immer mit einer halb singenden Stimme, wenn sie mich dabei sieht, wie ich Whiskey trinkend und halb angeekelt, halb freundlich die fremde Hündin streichele, die sich auf der Terrasse der Fakultät herumtreibt. Ihren Namen kenne ich nicht und ihr Besitzer ist mir bisher ebenso selten begegnet wie die Erasmusstudenten, die sich irgendwo versteckt halten müssten. 

Grund zur Verwunderung gibt mir das nicht. Ganz im Gegenteil: Das Einzige, was mir nach einem halben Jahr an meiner Fakultät noch wirklich „spanisch“ vorkommen würde, wäre irgendein Rechthaber, der sich bei mir darüber beklagt, dass die Leute hier ihre Hunde mit an die Uni bringen.

Kommentare (2) :

Kommentar von stefanie 12.03.2009

Kommentar von Ralf 12.03.2009

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