Die Chinos – eine Welt für sich

04.02.2019 - Laura Nadolski 

Als ich neulich mit einer Freundin von Zuhause telefonierte, erwähnte ich beiläufig den Chino in meiner Straße. “Chino?” fragte sie. Ach ja – die Chinos haben wir ja in Deutschland gar nicht.

 

Doch wie beschreibt man dieses “Phänomen” am besten?

Die Chinos sind im Prinzip das spanische Äquivalent für die 1€-Shops oder Krusch-Läden in Deutschland. Hier gibt es gefühlt alles und das zu günstigen Preisen. Eigentlich simpel - und doch sind sie immer wieder ein Erlebnis.

 

Besonders bezeichnend war mein erster Chino- Besuch in Madrid vor zwei Jahren:

Auf der Suche nach einer Vase verlasse ich meine WG im wunderschönen Malasaña. Zwei Straßen weiter überquere ich einen grauen Platz und mache in der gegenüberliegenden Häuserreihe einen von oben bis unten vollgestopften Laden aus. Ich trete näher, aber er scheint ziemlich verlassen. Vorsichtig werfe ich einen Blick hinein, erkenne aber nur eine leere Kasse und Regale voller Krempel.

 

“¡Hola!” – kurze Stille. Dann, aus dem unergründlichen Dunkel des Ladens, erklingt eine Frauenstimme “¡Hola! ¿Qué necesita?”  - Was brauchen Sie? “Un jarrón” – rufe ich in den unbekannten Raum. Da ich das “r” aber nicht so schön rollen kann wie die Spanier und schon gar nicht doppelt, muss ich noch dreimal hinterherrufen, bis ich endlich verstanden werde. “In der dritten Reihe von rechts, auf der linken Seite” – kommt als Antwort zurück. Dass die Frau weiß, wo ich bin – und vor allem, wo die Vasen sind, erscheint mir angesichts des Chaos vor meinen Füßen rätselhaft.

 

Schreibtischlampen ragen über Kalender, Malhefte, Suppenschüsseln, der halbe Inhalt eines Werkzeugkastens ist darunter ausgestellt. Ich zähle die Reihen ab und versuche dabei hinter das System des Ladens zu kommen. Die Inhaberin habe ich zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht gesehen. Ein Heer von Plastikspielzeugfiguren starrt mich an. Dritte Reihe von rechts. Die Sachen sind so hoch gestapelt, dass sie sogar für einen großen Menschen unerreichbar sind. Mein Blick gleitet über schlecht verpackte Glühbirnen, Stricknadeln, gläserne Tupperdosen. Zwischen ein paar Plastikpflanzen erspähe ich mit viel Glück endlich einige Vasen, jede ein Einzelstück, aber alle aus Kunststoff. Ich bahne mir den Weg zurück und als ich an der Kasse ankomme, wartet schon eine schmächtige asiatische Frau auf mich. Mit einer schlanken Plastikvase im Wert von 3€  trete ich aus dem Geschäft.

… und bin froh die Reizüberflutung hinter mir zu lassen.

 

Wem die Bezeichnung Chino nun etwas fremdenfeindlich erscheinen mag – in Spanien ist sie gang und gäbe. Die Spanier sehen das in dem Fall eher praktisch – die Läden werden nun mal zum großen Teil von Händlern asiatischer Herkunft betrieben und so weiß jeder was gemeint ist.

 

Chinos gibt es an jeder Straßenecke. Und dort wo ich heute wohne sogar sieben in einer Straße.

 

Laura Nadolski

 

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