Land der kleinen Gesten

21.10.2009 - Stefanie Claudia Müller - scm communication 

Manchmal bekommt man das Gefühl, dass man in Spanien einfach gar nicht schlecht gelaunt sein kann. Dieses unglaubliche Licht, das auch derzeit wieder den Herbst erhellt, kann einen eigentlich nur strahlen lassen. Eine Winterdepression scheint bei soviel blauem Himmel unmöglich. Das nahende Allerheiligen wird nicht zu einem Grauen. Die Kälte am Morgen wird durch die Sonnenstrahlen am Nachmittag wieder aufgefangen, noch immer findet das Leben vorwiegend draußen statt - ein enormer Luxus. Der Tag scheint länger als in Deutschland, weil es später dunkel wird.

Aber es ist nicht nur das Wetter, was einem immer wieder klar macht, warum man gerne hier lebt, sondern auch die vielen netten Gesten der Spanier. Zum Beispiel letztens im Krankenhaus: Ich war auf Diät gesetzt und hatte aber unglaublichen Hunger und keinen Pfennig mehr im Portemonnaie. Es war schon spät und es gab keine Hoffnung mehr, dass mir jemand aus der Familie Essen bringen würde. Also schlich ich runter in die Cafeteria des Krankenhauses und bat um ein Bocadillo. Ich wollte mit Geldkarte bezahlen, aber das ging nicht. „Komm, chica, ist schon o.k.,” lächelte der ältere Mann hinter der Theke. Er sah mein hungriges Gesicht und hatte Mitleid. Er schien ein Verbündeter, ich steckte das Brot unters Shirt und schlich wieder auf mein Zimmer.

Auch im Kiosk half mir kürzlich ein Herr aus, weil mir 50 Cents fehlten für eine Zeitung und der Taxifahrer, der meine Eltern vor kurzem gratis durch Madrid lotste, hätte einen Orden verdient. Oder die Spanierin, die mit viel Geduld der Kolumbianerin am Parkautomat erklärte, dass man nur maximal zwei Euro einwerfen kann und nachher selber Kleingeld aus der Tasche nimmt, um den Prozess und die Schlange der Wartenden zu verkürzen. Und auch das fand ich sehr nett: Als mir durch mein Verschulden in einem Restaurant mein Orangensaft über die Hose läuft, bringt der Kellner nicht nur anstandslos einen neuen, sondern auch einen Lappen und Seife. Mit viel Geduld erklärt er, wie ich die Flecken am besten wieder raus bekomme.

Egal ob in Katalonien, Galicien oder Andalusien, diese menschliche Wärme macht Spanien aus, verbindet das Land über alle Sprachgrenzen hinweg. Diese kleinen Momente, wo nicht an Profit und Effizienz gedacht wird, gehören zur spanischen Art dazu. Bei der Arbeit mit Spaniern können sie nerven, das Leben machen sie jedoch eindeutig reichhaltiger, weil Zeit hier anders gemessen wird, weil Zeit hier nicht immer nur Geld ist. Die Menschen haben in der Regel Zeit, manchmal zuviel Zeit, sie verlieren sich in sinnlosem Gerede, kommen zu spät etc., aber dieser Umgang mit der Zeit ist die meiste Zeit eher eine Wohltat.

Man kann nur hoffen, dass sie nicht verloren geht, diese Großzügigkeit der kleinen Gesten.

Kommentare (5) :

Kommentar von jose redondo vega 23.10.2009

Kommentar von jose redondo vega 23.10.2009

Kommentar von Isabel 23.10.2009

Kommentar von Juergen Erhardt 26.10.2009

Kommentar von stefanie 28.10.2009

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