Vorbei der Spass!

24.03.2009 - Stefanie Claudia Müller - scm-communication 

"Bitte einmal Amoxil!", flöte ich fröhlich über den Verkaufstisch meiner Dorf-Apotheke. An jeder Hand ein krankes Kind, freue ich mich, dass ich mit diesem einfachen Satz viel Zeit gespart habe. Die Frau auf der anderen Seite, die mich schon hundert Mal bedient hatte, guckt jedoch anders als sonst: "Aber haben Sie denn ein Rezept?"

"Wie Rezept?", denke ich, sag aber nichts, da plötzlich soviele Leute in der Apotheke stehen und ich als gut angesehene Deutsche - also wegen unserer Tugenden und so - das dumpfe Gefühl habe, gerade eine illegale Tat zu begehen. "Wissen Sie", spricht die kleine Pharma-Frau mit lauter Stimme und durchdringendem Blick, "wir können kein Antibiotikum ohne Rezept rausgeben. Was haben denn die Kleinen überhaupt?"

Erst einmal Schweigen und Staunen im Raum. Ich verstehe die Welt nicht mehr: "Aber genau das, Antibiotikum ohne Rezept verkauft, hast Du doch noch vor einer Woche gemacht, nämlich als ich so Halsschmerzen hatte", denke ich. Rauskommt dann aber doch nur: "Die Kinder haben einen sehr starken Husten." Ja, aber dafür muss man ja kein Antibiotikum nehmen", sagt mein Gegenüber erstaunt. "Bin ich wirklich in Spanien oder wurde ich gerade nach Deutschland gebeamt", rast es mir durch den Kopf.

Aber ich trau mich nicht, etwas zu sagen, da ich wirklich das Gefühl nicht loswerde, dass ich gerade ehrenwerte Leute um Drogen oder so gebeten habe und gleich die Handschellen zuschnallen könnten, wenn ich noch nachhaken sollte: "Aber letzte Woche haben Sie es doch noch verkauft ohne Rezept." Die sonst so rebellische Deutsche bleibt stumm. Nur ein kurzes "Achso" kommt mir über die Lippen und ich gebe mich mit dem Hustensaft zufrieden, den sie mir in die Hand drückt und der wahrscheinlich eh nichts bringt. "Schade, dass Spanien jetzt auch auf dem Gesundheitstrip ist", denke ich noch beim Rausgehen. Es war so schön einfach mit meinem besten Freund, dem Amoxil.

Am Anfang schockt es, wie leicht man in Spanien an harte Medikamente kommt. Das Kind wird krank, man geht zum Arzt und bekommt ganz schnell Antibiotikum verschrieben. Man geht zum Hausarzt klagt übe Verstimmungen und hat direkt ein Rezept über Anti-Depri-Pillen. In Deutschland fast als Teufelszeug bei der Behandlung von Erkältungen und Grippen verschrieen, haben die Spanier die weiße Flüssigkeit in den vergangenen Jahren wie Hustensaft geschluckt. Man konnte den Bakterien-Bekämpfer sogar ohne Rezept bekommen, wurde in der Apotheke noch beraten und hat sich damit viele Arztbesuche erspart.

Am Anfang war ich auch geschockt, aber dann habe ich gesehen, dass das Ganze doch wirkliche Vorteile hat, weil sich viele Infekte ja immer wiederholen bei Kindern und eigentlich keine Notwendigkeit besteht, für jeden entzündeten Hals direkt zum Arzt zu gehen. In Spanien reicht dafür auch der Praktikante, so ein Beruf zwischen Krankenschwester und Arzt - normalerweise sehr fitte Leute, die rund um die Uhr für Notfälle zur Verfügung stehen. Bisher gaben sie den Freischuss für Antibiotika. Sie untersuchten die Kinder und sagten dann meist: "Ja, da müßte man mal anfangen mit der Behandlung."

In Deutschland führt ein solches Verhalten von Ärzten, Apotheken und Eltern natürlich zum Aufschrei. Auch die Tatsache, dass hier immer Dalsy gegeben wird, um auch schon leicht aufkommendes Fieber schnell runterzubringen. Anfangs war ich auch entsetzt, habe meine Kinder alles ausschwitzen lassen und viele verschiedene Hustensäfte, Nasensprays und Halsschmerztabletten gekauft, auch für mich selber. Dann habe ich jedoch gemerkt, dass weder ich, noch meine Kinder dadurch irgendwie einen Vorteil hätten, sie leideten einfach nur mehr als spanische Kinder, die direkt mit Dalsy und bei schlimmen Infektionen mit Antibiotikum versorgt werden.

Deswegen kaufte ich schließlich auch in der Apotheke rezeptfrei Antibiotikum für vielfältige Anwendung ein, es war auch spottbillig, so um die vier Euro, so dass sich das Warten beim Arzt auch finanziell nicht gelohnt hätte. Jetzt ist der Spaß jedoch vorbei. Das spanische Gesundheitsministerium hat festgestellt, dass der Konsum von Antiobiotikum in Spanien überproportional ist und bei den Erwachsenen viele Medikamente nicht mehr wirken, weil der Körper durch den hohen Konsum in der Kindheit resistent geworden ist. So hat sich die Resistenz gegen ciprofloxacinen Antibiotika in Spanien von 17,2 Prozent im Jahre 2001 auf 29,2 Prozent im Jahre 2005 erhöht. Dem soll nun durch entsprechende Aufklärungsarbeit entgegengewirkt werden. Na und natürlich auch dadurch, dass die weiße Flüssigkeit nicht mehr "illegal" über den Tisch geht.

Übrigens: Tatsächlich haben meine Kinder ihren starken Husten auch ohne Antibiotikum überlebt. Ich presse jetzt wieder Zitrone aus, kaufe Kräutersaft und koche Tee, wenn sie Halskratzen haben, halt richtig deutsch.

Kommentare (9) :

Kommentar von Carsten 25.03.2009

Kommentar von Isabel 26.03.2009

Kommentar von Ralf 27.03.2009

Kommentar von Barbara 31.03.2009

Kommentar von Elke 01.04.2009

Kommentar von karin 02.04.2009

Kommentar von Isabel 02.04.2009

Kommentar von stefanie 03.04.2009

Kommentar von Isabel 03.04.2009

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