Mein Zuhause die Bar

22.05.2009 - Stefanie Claudia Müller - scm communication 

Das grelle Neonlicht lässt die Gesichter der spanischen Gäste noch blasser und fader aussehen als im Tageslicht. Es ist schon 12 Uhr morgens, aber hier in der Bar an der Ecke im Barrio Salamanca gibt es nur ein Fenster. Ohne elektrisches Licht geht es nicht.

Der Wirt steht mit aufgeknöpftem weißen Hemd hinter dem glänzenden Metall-Tresen und fragt freundlich, was es sein darf. “Zumo de naranja, tostada y café con leche”, kommandiert der Gast, ein Spanier. Ausländer hängen meist ein “por favor” an, die Spanier dagegen “befehlen”, meinen das aber nicht böse. Das merkt man aber erst nach einer Zeit. Por favor und gracias sind halt nicht die gängigsten Wörter in diesen kleinen Nachbarschaftsbars, Höflichkeit drückt man dort anders aus, zum Beispeil, indem man sich mit dem Wirt über seinen Lieblings-Fußballverein unterhält.

Hier im Barrio Salamanca wohnen eigentlich die Gutbetuchten Madrids, aber in dieser objektiv gesehen total runtergekommenen Bar mit den Wandspiegeln kommen sie alle zusammen, die Putzfrau aus dem 6. Stock des Herrenhauses in der Calle Hermosilla und der Bankangestellte von der Calle Goya. Man kennt sich, grüßt sich, redet über Gott und die Welt, genießt dabei das Frühstück, für viele Kaffee mit churros.

Auch wenn es zuhause bei den Spaniern meist sehr sauber ist, motzt hier keiner, dass Zigaretten, Servietten und Olivenkerne einfach nach unten auf den PVC-Boden fallen und es unter den Schuhen knirscht, wenn man auf die Toilette gehen will. Auch hier grellstes Neonlicht und meist nicht funktionierende Schlösser. Aber was soll es...

Es huschen jüngere Frauen in die Bar, bestellen schnell ihr Frühstück, beäugeln die Männer im Anzug. Alte Herren mit Strickjacke blättern in der Zeitung, andere spielen am einarmigen Banditen, der Fernseher läuft, konstant. Das Gefühl von Einsamkeit kommt hier nicht auf, auch wenn man allein am Tisch sitzt. Eine enorme Geräuschkulisse hüllt den Gast ein wie eine warme Decke. Man muss nicht nachdenken, schaut auf den Bildschirm und wird betäubt, schön betäubt.

Eigentlch ist das objektiv gesehen alles furchtbar und dennoch ist es so liebenswert und typisch spanisch. Hier in der useligsten Bar der Welt ist das Leben noch billig und authentisch. Das Frühstück kostet gerade mal 2,50 oder 3 Euro. Der café con leche wird hier im Glas serviert, immer mit der Frage: Heiße oder kalte Milch...Den Wein trinkt man aus einem normalen Trinkglas und zu allen kalten Getränken gibt es was Kleines zu essen.

Mittags gibt es hier einfache Menüs mit Spiegelei und Schinken ab acht Euro, dann laufen auch viele Kellner mit offenen weißen Hemden an den Tischen vorbei. Der Blick auf die schwarzen Brusthaare ist freigelegt, ein Kettchen mit Kreuz vervollständigt den eigentlich schaurigen Anblick, aber irgendwie gehört auch das dazu. Und wahrscheinlich fällt das eh nur Ausländern auf.

Die Kellner dieser Nachbarschaftsbars in Madrid sind meist freundlich, schnell und können sich sehr viel merken. Sie kennen jeden beim Namen, haben vier Teller auf den Armen und können dann immer noch quatschen mit den Stammgästen. Es gibt hier auch kein Generationenproblem, weder bei den Angestellten, noch bei den Gästen. Jeder redet mit jedem, egal, ob man sich kennt oder nicht, egal wie alt man ist.

Spanier sehen in ihrer Stammbar so etwas wie ihr Zuhause. Immer nach dem Einkaufen nehmen die Frauen dort einen Kaffee zu sich, die Männer spielen Domino und trinken dabei ein Bierchen. Viele kommen hier auch regelmäßig zum Essen hin, weil sie nicht alleine zuhause sitzen wollen. Die Gerichte in diesen traditionellen Bars sind aber meist eher schlecht, in der Auslage an der Bar, auf die schön geraucht wird, liegen nicht die frischesten Speisen und ein Blick in die Küche lässt meist nichts Gutes erhoffen.

Aber keiner der Kunden beschwert sich über in Fett schwimmende Fritten oder ein kaltes Ei. Ist halt so...man freut sich des Lebens, dass man überhaupt da sitzen kann. Draußen sind es 40 Grad und trotzdem geben sich die Leute mit dem Platz im Neonlicht zufrieden. Das ist Spanien, ganz einfaches Glück.

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