Handyterror in Spanien

30.05.2008 - Aline Lutz - Studentin 

"Riiing, Riiiing, Riiiiing." Mein Herz macht einen kleinen Sprung und ich merke wie sich meine Wangen röten, sollte ich etwa vergessen haben, mein Handy auf lautlos zu stellen? Ein schneller Blick auf den Bildschirm gibt Aufschluss: Das impertinente Klingeln kommt zum Glück nicht aus meiner Tasche. Peinlich berührt und erleichtert wende ich meinen Kopf langsam nach hinten. Ich würde im Erdboden versinken, wenn das mein Telefon wäre, dass hier den Pressetermin im Círculo de Bellas Artes stört. Doch der ältere Herr im grauen Nadelstreifenanzug neben mir blickt ungerührt weiter auf das Podium, wo der ehemalige Ministerpräsident Felipe González gerade eine flammende Rede hält. Auch der Großteil des restlichen Publikums zeigt sich recht unbeeindruckt vom störenden Klingeln.

Endlich, der Besitzer scheint die Austaste seines Mobiltelefons gefunden zu haben, denke ich. Aber weit gefehlt, nicht die Austaste hat er gedrückt, sondern die Anrufannahme. Während der Redner am Pult seine Stimme erhebt, diskutiert der junge Mann drei Reihen hinter mir lautstark mit seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung, um schließlich genervt aufzustehen und den Raum zu verlassen. Was in Deutschland ein Fauxpas ersten Ranges wäre, daran nehmen in Spanien nur wenige Anstoß. Ein paar Köpfe drehen sich, als der junge Mann beim Verlassen des Raumes auch noch fluchend über ein Kabel stolpert, aber das wars schon.

Während in Deutschland Theatersäle, Kinos, Bars, Cafés, Ämter und Behörden mit Handyverbotsschildern zugepflastert sind, scheint sich der Spanier herzlich wenig an der öffentlichen Kommunikation zu stören. In Theatervorstellungen wird zwar gebeten, dass Mobiltelefon abzuschalten, doch sonst schnattert man überall munter drauflos. An allen Ecken piepst und klingelt es.

Ganz anders die Deuschen. Längst existiert ein Mobilfunkknigge der beispielsweise klären soll, wann man sich für Vibrationsalarm entscheidet, wann das Handy lautlos zu stellen ist und wann ein Anruf unbesorgt angenommen werden darf. So gilt bei Meetings und Konferenzen, dass jedes Klingeln stört. Das Handy darf hier nur angeschaltet werden, wenn es Vibrationsalarm besitzt. Ferner wird geraten, um den Anruf anzunehmen, möglichst unauffällig den Raum zu verlassen – Erklärungen wirken ebenso störend wie das Klingeln selbst.

Wer bei Cocktailpartys und gesellschaftlichen Empfängen sein Mobiltelefon schellen lässt, der outet sich nicht als wichtig, sondern schlichtweg als ungehobelt. Endlose Diskussionen und Debatten kann der Deutsche über den ordnungswidrigen Gebrauch von Mobiltelefonen führen. So kann es schonmal passieren, dass der gestrenge Busfahrer einen telefonierenden Gast zum Aussteigen zwingt oder diesem gar nicht erst seine Türen öffnet, da hilft dann alles Schimpfen und Jammern nichts. Auch Lehrerinitiativen gegen den Gebrauch von Mobiltelefonen in der Schule sind kein Einzelfall, zu störend wird gelegentliches Klingeln im Klassenzimmer empfunden. Wer sich dennoch erdreistet, in der Klasse zum Handy zu greifen, der muss mit Strafarbeiten und Nachsitzen rechnen. Doch im schlimmsten Fall kassiert der Lehrer das Telefon sogar schonmal für eine Woche ein.

Eben diese Gruppe von jungen Leuten scheint jedoch sowohl in Spanien als auch in Deutschland zur Benutzung von Handys eine gleiche Meinung zu besitzen. Überall erreichbar zu sein, ist für die jüngere Generation essentiell. Handys werden nicht nur zum Telefonieren verwendet, sondern beschallen zur großen Freude sämtlicher Hip-Hop und Techno Fans als mobile Musikboxen auch Metro, Schulkorridore und Einkaufszentren. Das ständige Piepsen und Klingeln wird Studien zu Folge von jüngeren Leuten einfach als weniger störend empfunden. Der Grund ist simpel: Kinder und Jugendliche sind mit Handyklingeln aufgewachsen und nehmen die gewohnte Lärmquelle deshalb weniger stark wahr als Erwachsene.

Kommentare (10) :

Kommentar von Andrea 30.05.2008

Kommentar von Manuel 02.06.2008

Kommentar von Carsten 03.06.2008

Kommentar von Volker 04.06.2008

Kommentar von Carsten 05.06.2008

Kommentar von Volker 05.06.2008

Kommentar von Barbara 06.06.2008

Kommentar von ralf 06.06.2008

Kommentar von Philipp 12.06.2008

Kommentar von charlie 22.07.2008

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