SERIE: Rafael Chirbes

06.04.2009 - Julia Macher 

Bürgerkrieg und Franco-Diktatur - das sind seit einigen Jahren die großen Modethemen der spanischen Schriftsteller und Filmemacher. Für Rafael Chirbes waren sie schon immer von Interesse. Der 1949 im valencianischen Tabernes de Valldigna geborene Schriftsteller ist studierter Historiker und beschäftigt sich seit Anfang der neunziger Jahre auch literarisch mit der spanischen Zeitgeschichte. Seine Spanien-Trilogie ist wohl die präziseste literarische Chronik über die lange Zeit der Diktatur, mit der der Autor vor allem in Deutschland großen Erfolg hatte: Rafael Chirbes betreibt keine simple Schwarz-weiß-Malerei sondern zeichnet ein vielfarbiges Bild der spanischen Wirklichkeit.

Schon der erste Teil, Der lange Marsch (Antje Kunstmann Verlag 1998), ist als multiperspektivisches Gesellschaftsportrait angelegt. Im Zentrum des Romans stehen die Geschicke von sieben Familien im Zeitraum von 1940 bis 1970. Der Erzähler spannt dabei den Bogen von der Repression der Nachkriegsjahre über die wirtschaftlich prosperierenden sechziger Jahre, als mit den Touristenmassen aus dem Norden auch Filme, Bücher, neue Wertvorstellungen und Ideen die Pyrenäengrenze kreuzten, bis hin zu dem Widerstand an den Universitäten, dem Protest der Jungen gegen ihre Eltern - und den alten General.

Ein ganz ähnliches Verfahren verwendet Rafael Chirbes in seinem Roman Der Fall von Madrid (Antje Kunstmann Verlag, 2000). Hier bündelt er die verschiedenen Perspektiven auf die unterschiedlichen Mitglieder der Madrider Familie Ricart und konzentriert sich auf einen einzigen Tag: den 19. November 1975, den Tag, an dem Diktator Franco starb. Zu Wort kommen nicht nur der Familienpatriarch Don José Ricart, dessen Enkel Quini und Jose-Mari, intellektueller Rebell der eine, reaktionäres Blauhemd der andere, sondern auch das Hausmädchen, ein gefürchteter Geheimdienstler und eine Künstlerin. Durch die Vielstimmigkeit gelingt Chirbes eine spannende Momentaufnahme aus einem Spanien im Umbruch. Dabei sind Chirbes' Figuren niemals nur reine, bestimmte „Typen“ illustrierende Funktionsträger, sondern psychologisch genau gezeichnete Protagonisten.

Alte Freunde (Heyne Verlag 2006) ist der letzte Teil der Trilogie. Diesmal stimmt Chirbes’ Erzählerchor einen Abgesang an - auf die Träume und Wünsche von damals. Fünf Freunde, alles ehemalige Oppositionelle, treffen sich 30 Jahre nach Francos Tod in einem Madrider Restaurant. Aus den einstigen Kämpfern sind saturierte Baulöwen, egozentrische Schriftsteller, nervöse PR-Managerinnen geworden. Das wäre ein treffliches Sujet für eine spöttische Erzählung über das Scheitern revolutionärer Ambitionen - aber so einfach macht es sich Chirbes nicht. Geschickt reiht der Autor die inneren Monologe seiner Protagonisten so aneinander, dass der Leser jede Figur aus unterschiedlichen Blickwinkeln kennen und verstehen lernt. Dieser differenzierte Blick auf den Einzelnen macht Rafael Chirbes' Romane so lesenswert - und zu einer Art literarischen Gesellschaftsgeschichte, die gerade im Alltäglichen das Besondere erkennen lässt.

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