NUTZWERT: EUGH-Urteil zugunsten des Käufers

02.07.2008 - Sönke Lund 

Mit Spannung wurde die Entscheidung von Unternehmern und Verbraucherschützern erwartet, die der EuGH am 17. April 2008 in der Angelegenheit "Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gegen Quelle AG" zu einer überaus praxisrelevanten Frage gefällt hat: Darf ein gewerblicher Verkäufer, der einem Kunden eine mangelhafte Sache geliefert hat, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung dieser Sache bis zu dessen Austausch durch eine neue Sache verlangen?

Die Quelle AG hatte einer Kundin im August 2002 einen Herd-Set für ihren privaten Gebrauch geliefert. Anfang 2004 stellte die Kundin fest, dass das Gerät mangelhaft war. Da es unmöglich war, das Gerät zu reparieren, gab sie es an Quelle zurück, die es durch ein neues Gerät ersetzte. Jedoch verlangte Quelle von der Kundin die Zahlung von 69,97 Euro als Wertersatz für die Vorteile, die sie aus der Nutzung des anfänglich gelieferten Geräts gezogen hatte.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände forderte daher im Namen der Kundin den Betrag von 69,97 Euro zurück. Weiterhin sollte Quelle es unterlassen, im Fall einer Ersatzlieferung für eine mangelhafte Ware deren Nutzung in Rechnung zu stellen. Das Gericht der ersten Instanz gab dem Anspruch auf Rückzahlung des Wertersatzes statt, wies jedoch den Antrag auf Verurteilung zur Unterlassung der Inrechnungstellung der Nutzung vertragswidriger Verbrauchsgüter zurück. Die Berufungen der Beteiligten wurden zurückgewiesen. Der BGH hatte sich im Rahmen der Revision mit der Frage zu befassen und stellte fest, dass sich nach den bundesdeutschen Regelungen aus § 439 Abs. 4 i.V.m. § 346 Abs. 1 u. 2 Nr. 1 BGB ergebe, dass der Verkäufer im Fall der Ersatzlieferung für eine mangelhafte Sache Anspruch auf Wertersatz für die Vorteile habe, die der Käufer aus der Nutzung dieser Sache bis zu deren Austausch durch eine neue Sache gezogen habe. Es bestünden zwar Bedenken gegen dieses Ergebnis, weil dem Käufer damit einseitig eine Belastung auferlegt werde - die nationalen Regelungen seien insoweit jedoch eindeutig. Da die BGH-Richter Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen Bestimmungen des BGB mit dem Gemeinschaftsrecht hegten, setzte der BGH das Verfahren dann aus und legte dem EuGH die streitgegenständliche Frage zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH hat jetzt für Klarheit gesorgt und festegestellt, dass die deutsche Gesetzesregelung mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar ist.
Der Gerichtshof erinnerte daran, dass nach Art. 3 Abs. 1 der maßgeblichen Richtlinie 1999/44/EG der Verkäufer dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit haftet, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsguts besteht. In Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie seien sodann die Ansprüche benannt, die der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit des gelieferten Verbrauchsguts gegen den Verkäufer hat. Soweit der Verbraucher demnach Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts verlangen kann, sehe die Richtlinie vor, dass der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsguts oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen kann, sofern nicht die Erfüllung seiner Forderung unmöglich oder die Forderung unverhältnismäßig ist. Wiederholt führt der EuGH in seiner Entscheidung aus, dass die Argumente der deutschen Regierung, die für eine Rechtmäßigkeit der Gesetzesregelung im BGB angeführt wurden, nicht überzeugen. Es stelle insbesondere keine ungerechtfertigte Bereicherung dar, wenn der Verbraucher aufgrund des Austauschs eines vertragswidrigen Verbrauchsguts über ein neues Verbrauchsgut verfüge, ohne dass er eine finanzielle Entschädigung leisten muss. Wenn der Verkäufer ein vertragswidriges Verbrauchsgut liefere, erfülle er die Verpflichtung, die er im Kaufvertrag eingegangen ist, nicht ordnungsgemäß und müsse daher die Folgen dieser Schlechterfüllung tragen. Der Verbraucher, der seinerseits den Kaufpreis gezahlt und damit seine vertragliche Verpflichtung ordnungsgemäß erfüllt hat, werde durch die Erlangung eines neuen Verbrauchsguts als Ersatz für das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ungerechtfertigt bereichert. Er erhalte lediglich verspätet ein den Vertragsbestimmungen entsprechendes Verbrauchsgut, wie er es bereits zu Beginn hätte erhalten müssen. Der BGH wird nun im konkreten Fall zu entscheiden haben und zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Quelle AG der Kundin 69,97 Euro zu erstatten hat. Im Übrigen ist der Gesetzgeber aufgerufen, die maßgeblichen Vorschriften im BGB entsprechend anzupassen. Denn aktuell sind die deutschen Regelungen zum Wertersatz bei Ersatzlieferung gemeinschaftsrechtswidrig. Und dieser Aufruf bleibt nicht auf Deutschland begrenzt: Auch der spanische Gesetzgeber ist aufgefordert, die Regelungen des Código Civil zu revidieren.

Kommentare (0) :

Artikel kommentieren
Artikel-Archiv
  • 08.03.2023 [Kommentare: 0]

    Kurzer Abriss: Die Situation der Frauen in der Arbeitswelt in Spanien

    Frauen während des Franco-Regimes. Die Veränderung der Rolle von Frauen in der spanischen Wirtschaft lässt sich am besten im historischen Kontext betrachten. Während der Franco-Diktatur (1939-1975) wurden Frauen in Spanien auf traditionelle Rollen beschränkt, insbesondere in Bezug auf die Ehe und Mutterschaft. Frauen waren in der Regel.. Artikel weiterlesen

  • 14.02.2022 [Kommentare: 0]

    Meldepflicht für Auslandsvermögen („modelo 720“): Der EuGH hat endlich ein Urteil gesprochen

    Mit Urteil vom 27. Januar 2022 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun endlich bestätigt, dass das Modelo 720 in vielen Details nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Das war vielen Betroffenen aufgrund der absurd hohen Strafen, die mit dem Modelo 720 verbunden waren, schon längst klar und man muss sich wirklich wundern, dass eine Entscheid.. Artikel weiterlesen

  • 13.10.2021 [Kommentare: 0]

    Deutsche Rentner in Spanien – auf dem Radar der Agencia Tributaria

    Ich habe in letzter Zeit vermehrt Anfragen von deutschen Rentnern, die mehr oder weniger dauerhaft in Spanien leben, und Post von der Agencia Tributaria (= spanisches Finanzamt) bekommen haben.Worum geht es da? Meist hat das spanische Finanzamt von Deutschland mitgeteilt bekommen, dass eine Rente nach Spanien gezahlt wurde. Damit .. Artikel weiterlesen

  • 18.02.2021 [Kommentare: 0]

    Meldepflicht für Auslandsvermögen modelo 720 abschließende Klärung durch den EuGH bis Ende 2021?

    Wann wird Spanien endlich in die Schranken gewiesen? Ein Spanier bezeichnete vor Jahren die spanische Administration einmal als „bürgerunfreundlich“. Das kann man wohl sagen, und ganz besonders gilt das für das spanische Finanzamt („Hacienda“). „Hacienda“ hat immer Recht, auch wenn „Hacienda“ nicht Recht hat! Und das passiert leider sehr.. Artikel weiterlesen

  • 03.02.2021 [Kommentare: 0]

    Geht so Europa? Offener Brief an das BMF

    Sehr geehrte Damen und Herren, seit gut 15 Jahren unterstütze ich Deutsche in Spanien und Spanier in Deutschland bei Themen, die mit ihrem Leben „zwischen“ Deutschland und Spanien zu tun haben. Ich selbst habe über 20 Jahre im Ausland gelebt, davon viele Jahre in unterschiedlichen Ländern der EU. Daher verfolge ich auch immer wieder .. Artikel weiterlesen

  • 10.02.2020 [Kommentare: 0]

    Meldepflicht für Auslandsvermögen („modelo 720“) – es scheint sich endlich etwas zu bewegen

    Was war nochmal das „modelo 720“? Wenn in Spanien steuerpflichtige Personen in einer der drei Kategorien (1) Konten (Girokonto, Tagesgeld, etc.), (2) Wertpapiere jeglicher Art, Lebensversicherungen, Unternehmensbeteiligungen, etc. oder (3) Immobilien und Grundstücke jeweils in Summe mehr als 50.000 Euro im Ausland besitze, dann müssen.. Artikel weiterlesen

  • 23.05.2019 [Kommentare: 0]

    Wie bekommt man als Ausländer seinen Borrador auf der Webseite des spanischen Finanzamtes?

    Am 30. Juni ist wieder die Abgabefrist für die Einkommenssteuererklärung in Spanien. Aufschub, wie man ihn aus Deutschland kennt, bekommt man beim spanischen Finanzamt gar nicht – es handelt sich also um einen festen Termin!Um auf den "borrador", also den Entwurf der Steuererklärung, im Internet zugreifen zu können, gibt es.. Artikel weiterlesen

  • 10.04.2019 [Kommentare: 1]

    Die Kunst ein Haus in Katalonien zu kaufen

    Wenn Sie in Katalonien ein Haus kaufen möchten, unterscheiden sich andere Regeln, andere Gesetze und eine andere Unternehmenskultur von der Deutschen. Sie werden in eine Situation mit neuen Konzepten, sprachlichen Barrieren und unterschiedlicher Bürokratie geraten. Lassen Sie sich von der Immobilienagentur Larsson Estate helfen, um den.. Artikel weiterlesen

  • 06.03.2019 [Kommentare: 1]

    Meldepflicht für Auslandsvermögen – das modelo 720 gilt vorerst weiterhin (fast) unverändert

    Alle in Spanien unbeschränkt Steuerpflichtigen (= gewöhnlicher Aufenthalt in Spanien) sollten auch dieses Jahr wieder prüfen, ob sie der Meldepflicht für Auslandsvermögen nachkommen und ihre Vermögenswerte im Ausland in einer gesonderten Steuererklärung (modelo 720) deklarieren müssen. Die Frist für das Jahr 2018 endet am 1. April 2019.. Artikel weiterlesen

  • 04.12.2018 [Kommentare: 0]

    Hintergründe zum Meldegesetz

    Das Thema Anmeldung in Deutschland beschäftigt viele Deutsche, die in Spanien ihren Wohnsitz haben. Viele der Spanien-Deutschen haben sich in Deutschland nie abgemeldet. Was ist richtig, was sind die Konsequenzen, wenn man sich nicht an die Regeln hält? Vor mittlerweile drei Jahren ist in Deutschland ein neues Meldegesetz in Kraft getret.. Artikel weiterlesen