KOMMENTAR: Wie ein großer Karneval

31.12.2007 - Anuschka Seifert 

Barcelona ist immer in Bewegung, Barcelona ist wie ein großer Karneval, der nie aufhört, die Welt mit Ideen zu bewerfen. In Barcelona sind Künstler und Politiker schräg genug, um ständig neue Anlässe aus dem Boden zu stampfen, etwas Neues entstehen zu lassen. Eine zündende Idee, ein Konzept, eine Lüge und dann macht  sich die ganze Stadt an die Arbeit. Und dann gibt es so Feste wie Sant Jordi (siehe Foto), wo man sich aus Liebe ein Buch schenkt und mit den Liebsten einfach auf den Strassen feiert. 

Barcelona ist voller Events: Weltausstellungen im 19. und im 20. Jahrhundert, die Olympiade im letzten und im Sommer 2004 lud Barcelona die Völker dieser Erde zum Universellen Forum der Kulturen ein. Mit dem Glanzauftritt des selbsterfundenen Multi-Kulti-Festivals hat es zwar nicht wirklich geklappt. Ehrlich gesagt, war es ein ziemlicher Reinfall: Im Ausland hat es niemand so richtig wahrgenommen und es kam auch nur die Hälfte der vorgesehenen Besucher. Na, ja ein bisschen mehr als die Hälfte. Aber es hätte doch viel schlimmer kommen können.
 
Immerhin durchkreuzt jetzt endlich wieder eine Straßenbahn die Stadt von Osten nach Westen, am Strand befindet sich ein riesiges Kongresszentrum und ein spektakuläres dreieckiges Gebäude, das die Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron entwarfen. Und da, wo früher die Pferde der Zigeuner grasten, ist ein ganz neues Hightech-Viertel mit dem zukunftsweisenden Namen 22@ entstanden, dessen in der Sonne blinkenden Wolkenkratzer –zugegeben es sind nur Hochhäuser - jetzt all die Leute begrüßen, die morgens in die Stadt reinkommen. 

Barcelona schafft es immer, sich ins rechte Licht zu rücken. Seit über 100 Jahren entwickelt sich die Stadt in Schüben und wenn nötig, erfindet sie den Anlass selber. Erst wurden die Stadtmauern geschliffen. Eine nach der anderen, um die Menschen aus der Sardinenbüchse zu befreien. Das, was wir heute als Altstadt bezeichnen, war damals ganz Barcelona, eine Stadt in der sich 700 Menschen auf einem Hektar drängelten. 

Dann wurde das Planquadrat Eixample aus dem Boden gestampft, das die Besucher aus Madrid immer auf die Palme bringt und jeden Jugendstilliebhaber in Entzückung versetzt. Damals buhlten Aristokraten und Textilfabrikanten miteinander: Jeder wollte das schönste Haus in dem neu geschaffenen Stadtteil bauen, am besten natürlich am Passeig de Gràcia, der prachtvollsten Strasse Barcelonas und einer der teuersten Kataloniens, ja ganz Spaniens. 

Heute können im sogenannten goldenen Viereck, im Quadrat d’Or 150 Gebäude im Modernisme-Stil besichtigt werden. An jedem Haus ist ein kleines Metallschild angebracht, damit man den Namen des Architekten auch ja nicht verpasst, denn es war ja nicht nur Gaudí, der hier die Stadt in neuem Glanz erstehen ließ. Sein Mammuttempel, die Sagrada Familia, ist bis heute eine Riesenbaustelle, an der seine selbsternannten Nachfolger weiterwerkeln. Die stehen nicht nur dem reaktionären katholischen Opus Dei nahe, sie wollen den armen Gaudí auch noch selig sprechen lassen. Aber seinen gigantischen Kuppelbau, den Gaudí in New York verwirklichen wollte und der nie gebaut wurde, der ragt jetzt im nordwestlichen Teil der Stadt wie ein Vibrator aus dem Häusermeer und läuft dem Sühnetempel den Rang des Wahrzeichen Barcelonas ab. Zwar will sich der französische Architekt Jean Nouvell, der das schuppenartige Gebäude für die Wasserwerke entworfen hat, an dem heiligen Berg der Katalanen, dem Montserrat inspiriert haben. Aber eine Ähnlichkeit mit Gaudís New-York-Idee ist irgendwie nicht von der Hand zu weisen. Egal, alle amüsieren sich über diesen Turm, der natürlich längst den Beinamen la titola hat, zu Deutsch… na ja, das finden sie schon selbst heraus. Wieviel das neue Wahrzeichen gekostet hat, ist sowieso nicht wichtig. Vielleicht nur noch, ob er wirklich höher als der höchste Wolkenkratzer in Madrid ist. 

Die Stadt übertreibt immer. Jetzt soll Barcelona mal wieder Europas Hauptstadt des Designs werden. Sie sehen schon wir brauchen wieder einen neuen Anlass, ein neues Event, Zukunftsperspektiven. Als Design-Hauptstadt wurde sie zwar schon 1992 gefeiert, da meinten alle: Vergessen Sie Paris, vergessen Sie Mailand und London, die aufregendste Stadt Europas heißt Barcelona. Ist sie auch. Nirgendwo ist die Architektur- und Design-Szene so offensichtlich lebendig, nirgendwo anders das Nachtleben so aufregend: Es scheint, als würden nur in Barcelona die Bürgersteige nie hochgeklappt. Und wenn um 3 Uhr morgens in den Kneipen und Bars das Licht ausgeht, dann sorgen immerhin die Pakistanis dafür, dass die Party weitergehen kann. Die haben inzwischen zur Freude der Youngster aus allen Herren Ländern ihre illegalen Bier-Depots unter den städtischen Gullis eingerichtet.
 
Wo sonst, wenn nicht in Barcelona, kann man innerhalb einer halben Stunde erst auf den Berg steigen, besser noch auf Norman Fosters Fernsehturm, sich die Stadt aus der Vogelpersketive anschauen und dann 30 Minuten später ein erfrischendes Bad im Meer nehmen oder mit dem Taxi auf den anderen, den kleinen Hausberg Montjuïc fahren, um mal schnell zwischendurch eine Runde Klettern zu gehen. Der cross-over-trip in ein und derselben Stadt, ist ständig möglich. In der natürlich auch, fast hätte ich es vergessen, eine ganze Reihe der wichtigsten Maler des letzten Jahrhunderts “zuhause” waren. 

Wer nach interessanten Museums- und Galeriebesuchen und dem Pflichtprogramm von Pablo Picasso, Joan Miró, Joan Brossa und Antoni Tàpies noch immer nicht genug hat, dem sei verraten, dass Barcelona auch zu einem der beliebtesten Ziele für Feinschmecker gehört. Denn von Ferrán Adriàs’ Besessenheit, die Küche auf den Kopf zu stellen, hat sich eine ganze Heerschar junger Chefs anstecken lassen. Und deren coole Restaurants, die boomen. Zu viel des Guten? Das gilt vielleicht für jeden anderen Ort. Für Barcelona jedenfalls nicht, denn Barcelona ist einfach anders, und das verdammt schnell. 

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