INTERVIEW: "Schüler sind eigenständige Persönlichkeiten."
25.08.2008 - Corinna Reiß und Philipp Dyckerhoff
Toni Wunderlin ist bereits im achten Jahr Direktor der Schweizerschule in Barcelona. Er bringt langjährige Lehrerfahrung aus den verschiedensten Bereichen mit. An der Schweizerschule unterrichtet er nicht mehr, sondern widmet sich ganz seiner Direktionsarbeit.
Was macht die Schweizerschule in BCN besonders?Die Schweizerschule besteht bereits seit 90 Jahren am gleichen Ort und hat somit einen festen Platz im Barrio an der Plaza Molina. Familien siedelten und siedeln sich in ihrer Nähe an und führen ihre Tradition fort. Die Schule ist durch ihre Lage sehr gut angebunden an die Innenstadt, aber auch an die Vororte. Besonders ist die sprachliche Ausrichtung der Schule: fünf Sprachen sind obligatorisch. Sprach- und Kulturvielfalt wird sehr bewusst gelebt und umgesetzt. Von den Eltern wird Engagement und Interesse erwartet: Ihr Interesse an der deutschen Sprache und der deutschsprachigen Kultur soll ihre Kinder unterstützen und fördern.
Was unterscheidet sie von spanischen Schulen und Schulen in der Schweiz?Die Schweizerschule ist eine reine Privatschule. Sie wird nach betriebswirt-schaftlichen Grundsätzen geführt. Die Lehrer haben ihre eigene gewerkschaftliche Organisation. Der Schweizerschule in Barcelona ist der Partnerkanton Bern zugeordnet. Die Schule erfüllt die Berner Schulprogramme und die Schüler erlangen nach der zwölften Klasse die Matura. Die Schweizerschule ist aber unabhängiger von Schweizer Parlamentsbeschlüssen und damit letztlich freier als eine Schule in der Schweiz.
Im Gegensatz zur Schweiz ist die Schule in Barcelona eine Tagesschule mit Unterricht und einem breit gefächerten Programm außerschulischer Aktivitäten zwischen 8 und 20.30 Uhr. Es wird eine Generalistenausbildung verfolgt. Die Ausbildung bleibt bis auf die Gymnasialstufe breitgefächert und unterscheidet sich darin vom spanischen Schulsystem. Erfreulich ist, dass seit letztem Jahr die Matura von Spanien anerkannt wird. Die Maturanote wird direkt umgerechnet und für die SchülerInnen entfällt die sogenannte „Selectividad“. Sie haben damit Zugang zu allen spanischen Universitäten.
Was unterscheidet die Schweizerschule von anderen internationalen Schulen in Barcelona bzw. in Spanien?Die Schweizerschule ist seit ihrer Gründung eine Begegnungsschule. Ein Großteil der Schüler hat Spanisch oder Katalanisch als Muttersprache und nur knapp ein Drittel Deutsch. Auch die Lehrkräfte kommen aus unterschiedlichen Ländern. Diese Mischung prägt die Schulatmosphäre. Amts- und auch Konferenzsprache in der Schule ist das Castellano. Die hohe Gewichtung der Sprachausbildung mit fünf obligatorischen Sprachen ist eine Besonderheit der Schweizerschule. Katalanisch ist nicht abwählbar und wird von der Generalitat als Niveau C anerkannt. Einzelne Fächer werden auch auf Katalanisch unterrichtet (z.B. Sport und Geographie). In Abgrenzung zur Deutschen Schule ist erwähnenswert, dass das Personal reine Ortsverträge hat, das heißt nicht verpflichtet ist, nach einer bestimmten Anzahl von Jahren die Schule wieder zu verlassen.
Welches pädagogische System wird bei Ihnen umgesetzt? Welche Werte prägen die Schweizerschule Barcelona?Die Schweizerschule hat in ihren Anfängen nach der Methode von Maria Montessori unterrichtet. Dieser Ansatz macht es sich zum Ziel, Schüler als eigenständige Persönlichkeiten anzusprechen und diese entsprechend vielseitig zu fördern. Diesen offenen und toleranten Innovationsgeist hat sie sich das ganze 20. Jahrhundert hindurch bewahrt und ist damit während der harten Jahre der Francodiktatur zu einem Hort der Freiheit geworden. Durch die vielfältigen Herkunftsländer wird eine Kultur des gegenseitigen Respekts vermittelt. Dazu gehören auch Werte wie Pünktlichkeit und Sauberkeit. Selbstverantwortung und Sozialkompetenzen werden gefördert ohne dabei eine gute akademische Ausbildung aus den Augen zu verlieren. Letztlich ist die Mischung all dieser Ansätze wesentlich.
Gibt es einen Ex-Alumni-Verband? Welches sind die Aktivitäten dieses Verbandes?Es gibt einen Ex-Alumni Verein, der eng mit der Schule zusammenarbeitet. Das Engagement des Vereins richtet sich eher darauf aus, das familiäre Ambiente auch über den Schulabschluss hinaus aufrecht zu erhalten. So soll der Austausch und der Kontakt ehemaliger Schüler untereinander gefördert werden. Die Ehemaligen werden zu besonderen außerschulischen Anlässen eingeladen (wie beispielsweise das jährlich stattfindende Racletteessen). Ex-Alumni kommen auch zu Vorträgen oder stellen für jetzige Schüler Berufe vor.
Gibt es eine Erhebung über den Erfolg der Absolventen? Unterstützt die Schweizerschule Barcelona ihre Absolventen bei der Arbeitssuche?Eine Begleitung der Schüler erfolgt bis in das Studium. Es gibt Erhebungen darüber, welche Studienabschlüsse die Schüler erreichen. Bei der Arbeitssuche kann die Schule nicht direkt und aktiv unterstützen. Möchte ein Schüler sein Studium außerhalb Spaniens aufnehmen, hilft die Schule jedoch dabei. Auch wenn jemand sein Studium in Spanien abgeschlossen hat und gerne in Deutschland oder in der der Schweiz arbeiten möchte, vermittelt die Schule Kontakte.
Wie viele Schüler gibt es insgesamt in den verschiedenen Schulstufen?Derzeit gibt es rund 660 Schüler, die sich folgendermaßen aufteilen:
Vorkindergarten (3 Jahre): 50
Kindergarten (4 bis 5 Jahre): 100
Grundschule (1. bis 6. Klasse): 280
Sekundarstufe I (7. bis 8. Klasse): 90
Sekundarstufe II (9. bis 12. Klasse):140
Derzeit schließen cirka 60 Prozent der Schüler mit der 12. Klasse ab. Das ist ein sehr viel höherer Anteil als in der Schweiz (circa 20 Prozent machen die Matura), wo Berufsausbildungen sehr viel stärker gefördert werden. In den nächsten Jahren wird die Sekundarstufe erweitert werden, da mit der Anerkennung der Matura durch die Generalitat auch Schüler von der Zürichschule an die 11. Klasse der Schweizerschule wechseln können.
Wie hoch ist der Anteil Deutscher/Schweizer zu Spaniern?Deutsche und Schweizer machen circa 30 Prozent der Schülerschaft aus. 60 Prozent dagegen sind spanischer Nationalität.
Welche Verbindungen gibt es zur Schweiz/Deutschland? Werden gemeinsame Aktivitäten (z.B. Feriencamps) oder Austauschprogramme angeboten?Es gibt vielfältige Angebote auf verschiedensten Ebenen:
Für die Schüler gibt es verschiedene Austauschprogramme. In der 10. Klasse besteht die Möglichkeit, für ein Semester an eine Schule in der Schweiz zu gehen. Im Gegenzug kommt ein Schweizer Schüler nach Barcelona. Einen 10-tägigen Klassen- und Kulturaustausch gibt es mit Genf, sowie Oldenburg und Regensburg in Deutschland. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, einen Teil der Sommerferien in Atlanta/USA zu verbringen. Ab der siebten Klasse werden außerdem Skilager in der Schweiz angeboten.
Auf Lehrerebene gibt es Austausch von Praktikanten und auch diverse Weiterbildungsangebote. Die Schule steht in engem Kontakt zum Goethe-Institut, dem Institut Francais und der ASET.
Welche Rolle spielen außerschulische Aktivitäten für die Schweizerschule Barcelona?Die außerschulischen Aktivitäten nehmen einen großen Raum ein. Es gibt ein breitgefächertes Angebot, aus dem je nach Interessenlage und Bedarf gewählt werden kann. Das geht von Sport und Musikangeboten über Theater und Kunsthandwerk bis hin zu Nachhilfeunterricht. Die Schweizerschule will auch ein kultureller Treffpunkt sein. So wurden unlängst Spiele der Fußball-Europa-Meisterschaft öffentlich übertragen. Im neuen Schulgebäude ist die Sociedad Suiza untergebracht und betreibt das Café Schweizer Club, das neben dem Restaurantbetrieb auch zu kulturellen Veranstaltungen einlädt.
Wie beurteilen Sie das Thema der katalanischen Sprache im Zusammenhang mit der Schweizerschule Barcelona?Katalanisch ist fester Bestandteil des Sprachenunterrichts und Teil der Kultur, die an der Schweizerschule gelebt wird. Das Katalanische ist eine Bereicherung der Kulturenvielfalt und spannt ein Dreieck auf zwischen der Schweizer und der spanischen Kultur. Katalanische Feste werden ebenso begangen wie Schweizer und spanische Traditionen.
Das Gespräch führten