INTERVIEW: Uwe Buermann: Langeweile macht kreativ

12.01.2014 -  

Die freie Zeit der Jugendlichen ist ein Bauchweh-Thema, vor allem für besorgte Eltern und Pädagogen. Wie kann ich dafür sorgen, dass mein Kind diese Zeit sinnvoll nutzt und sich nicht ständig mit elektronischen Geräten beschäftigt? Die freie Zeit ist denn auch in den Medien omnipräsent, nicht zuletzt in der Werbung. Und da weiss man stets sehr genau, was für Jung und Alt gut ist: sportlicher Aktivismus, Relaxen und Fun, Wellness und Spa, aber auch kultivierte kulinarische Hochgenüsse. Diese Liste lässt sich beliebig erweitern.
Was aber darf und soll die freie Zeit? Uwe Buermann ist Medienwissenschafter und nimmt sich seit Jahren des Themas „Jugendliche und Medien“ an. Ob in Deutschland oder der Schweiz: Seine Vorträge sind ausgebucht, seine Agenda ist es auch.
Seine Erkenntnis mag erstaunen und ist weit weg vom gängigen Werbecliché: Unseren Kids fehlt der Partykeller von einst.

Uwe Buermann, freie Zeit im November, also geradezu eine Einladung, sich mit der Play-Station zu beschäftigen, wenn es draussen ungemütlich ist und kalt ist.
Mag sein, ich erlebe oft, dass Eltern klagen: Mein Kind vergnügt sich in seiner Freizeit nur noch medial, egal zu welcher Jahreszeit. Und wenn sie zu sinnvollen Aktivitäten animieren wollen – „was möchtest du heute gerne unternehmen?“ –, die Kinder im Grunde genommen zu gar nichts Lust haben und hinter ihren Geräten eigentlich ganz zufrieden sind. Die Eltern aber sind frustriert; ihr Kind hat scheinbar keine anderen Interessen mehr.
Selbst wenn das Kind zu einem Ausflug zu bewegen ist, ist zumindest das Smart-Phone ständiger Begleiter, und der Sohn oder die Tochter ist durch Whats-App und Facebook dauernd abgelenkt.

Solche Situationen kennen wir aber auch bei den Erwachsenen.
Stimmt. Mehr als uns lieb ist sogar. Vater, Mutter, Kinder – alle sind mit ihren Geräten beschäftigt. Sie sind wohl gemeinsam da und doch nicht beieinander.
Wie aber kann die Freizeit wieder zusammen gestaltet werden? Wie kann Freizeit wieder zu einer gemeinsamen Zeit werden?

Was raten Sie?
Es gibt viele Möglichkeiten und Wege. Der wichtigste Punkt aber ist und bleibt, dass sich die Eltern auch in diesem Punkt ihrer Vorbildfunktion bewusst sind. Wie pflegen sie den Umgang mit elektronischen Geräten? Allzeit auf Empfang? Oder schaffen sie sich elektronikfreie Zonen? Für viele berufstätige Eltern aber wird die scharfe Trennung zwischen Beruf und Freizeit zunehmend auch zum Problem. Gleitende Arbeitszeiten und die Forderung vieler Arbeitgeber, auch an den Wochenenden auf „Empfang“ zu sein, weil vielleicht auf den Montagmorgen doch noch eine Präsentation vorzubereiten ist, verwischen die klaren Konturen.

Und bei den Jugendlichen?
Hier sind die Grenzen noch eindeutiger. Zum einen ist da die Schule mit dem unmissverständlichen Grundsatz einer elektronikfreien Zone. Wie weit dieser wirklich umgesetzt wird, ist von Schule zu Schule verschieden. Nach Schulschluss gehen die Jugendlichen heim, haben noch Hausaufgaben zu erledigen und dann beginnt ihre freie Zeit.
Sind die Schulen jedoch nicht Handy-frei, sind die Kinder in der Regel auch während der Schulzeit, zumindest teilweise, damit beschäftigt, geistig also nicht präsent, mit dem Resultat, dass viele Schulen – wenigstens in Deutschland – bereits kapituliert haben.
Klar steht in vielen Schulordnungen geschrieben, dass die Elektronik während der Schulzeit nicht genutzt werden darf. Sobald aber der Lehrer das Handy ebenfalls mit in den Schulunterricht nimmt, wenn auch nur als Uhr-Ersatz, werden die Schüler es ihm gleichtun und ihr Handy als Mittel zum Zweck einsetzen.
Womit wir wieder beim Thema Vorbildfunktion wären.

Viele Jugendliche haben eine prall gefüllte Agenda; ihre freie Zeit ist somit gar nicht mehr so frei.
Tendenziell betrifft dies vor allem jüngere Kinder. Während der Pubertät, mit der Zunahme der eigenen Selbstständigkeit, werden diese Programme kleiner. Jugendliche haben ganz oft einfach keinen Bock mehr. Das bedeutet, dass sie musische und sportliche Aktivitäten reduzieren oder ganz einstellen. Und damit kommen wir zu einem Grundproblem der Gegenwart: zur Kommerzialisierung der Freizeit, die in dieser Form vor rund 20 Jahren begonnen hat.

Mit welchen Konsequenzen?
Die Frage ist ja auch: Wo finden Jugendliche Orte, wo sie unverbindlich hingehen können, um tätig zu werden oder einfach zu sein?
Heute sind es häufig Sport- oder Musikvereine, die durch ihre Vorgaben wie Trainingszeiten, Turniere etc. einen festen Rahmen bieten. Aber wo kann der Jugendliche hingehen, wenn er einfach mal Lust hat, Fussball zu spielen, und wenn er keine Lust hat, es bleiben lassen darf? Da wird es dann schon bedeutend schwieriger.
Zum Jugendalter gehört unabdingbar auch das "Chillen", wir haben früher dazu Abhängen gesagt. Wir haben uns seinerzeit als Jugendliche getroffen, in einem Jugendheim zum Beispiel, haben zusammengesessen und geredet. Heute tun dies die Jugendlichen über das Internet; sie chatten. Jeder alleine von zu Hause aus.
Das nennen wir „soziale Kontakte“. Viele Jugendliche – und nicht nur Jugendliche – setzen sich also an ihre Geräte und schauen, wer gerade online ist.

Auch der direkte soziale Kontakt in der Freizeit ist heutzutage kommerzialisiert. Besonders betrifft das die Mittelschichtskinder aus dem Bildungsbürgertum: Wer sich treffen will, besucht ein Café, eine Discothek oder eine Bar. Die Jugendlichen müssen hierfür also ein bestimmtes Alter haben, oft sogar Eintritt bezahlen und – es muss konsumiert werden.
Die gute alte Teestube der Kirchgemeinde, so, wie ich das noch von früher kenne, wo man einfach hinging, sich den ganzen Nachtmittag hinter ein Getränk setzen und quatschen konnte, ohne Konsumdruck, gibt es so nicht mehr.

Was für Möglichkeiten hat das Umfeld, hilfreich Hand zu bieten?
Was wir brauchen, sind Räume der kultivierten Langeweile, die vor allem nicht kommerzialisiert sind. Hier sehe ich eine Möglichkeit vor allem für die Schulen. Aber nicht im Sinne einer Ganztagesschule oder über ein Kursprogramm, das ja auch wieder verpflichtenden Charakter hätte. Wir brauchen für unsere Jugendlichen die "Teestuben" von einst wieder, wobei dem Kind der Entscheid, hinzugehen, frei überlassen wird und es sich auch vor Ort spontan entschliessen kann: Will ich nun einfach nur reden oder eine Runde Billard spielen? Vielleicht entwickelt sich ja dann noch etwas ganz anderes.

Wir haben dafür Jugendtreffs…

Stimmt, aber wer geht da hin? Diese Jugendtreffs sind doch oft mit der Gassenarbeit verbunden, sprechen also ganz gezielt eine bestimmte Schicht von Jugendlichen an; jene, die auf der Strasse zu finden sind.
Ich erinnere mich an eine Bewegung, die darauf achtete, dass unsere Parks nicht mit Jugendlichen belagert wurden, und nun wundern wir uns, dass die Kinder immer mehr vor der Glotze landen?

Also weg von der Glotze, rein in den Park?
Sehen wir es mal so: Die Langeweile ist der einzige Weg, wie ein Mensch zur Kreativität kommen kann. Er muss den Nullpunkt erleben, wo keiner ihm sagt, was er tun soll, wo er einfach mal ist. Deshalb sollen diese Räume medienfrei sein, denn wenn ich aus Langeweile ein Video anschaue oder ein Game spiele, erreiche ich diesen Nullpunkt nicht – ich dröhne mich erneut zu.
Wirtschaft und Industrie beklagen sich zunehmend darüber, dass die Schulabgänger nicht mehr eloquent und kreativ seien. Oder andersrum gesagt: Die Schweiz – und nicht nur die Schweiz – hat Zehntausende von Anwendern, aber kaum Programmierer.
Klar ist aber auch: Kein Mensch wird durch den Computer kreativ, wie auch kein Mensch durch Facebook Sozialkompetenz erlangt.
Aber ein kreativer Mensch wird den PC kreativ und ein sozial kompetenter Mensch Facebook adäquat nutzen, d.h. echte Kontakte aufbauen.

Was heisst das auf die Familie bezogen?

Den Partykeller der 70er und 80er Jahre, den es damals in vielen Häusern gab, wo sich die Jugendlichen ungezwungen und dennoch in einem geschützten Rahmen treffen konnten, den gibt es nicht mehr.
Warum eigentlich nicht? Könnte man nicht solche Räume wieder zu neuem Leben erwecken? Vielleicht müsste der eine oder andere Vater seine grosse Modelleisenbahn abbauen. Die Räume wären da, sie werden heute einfach anders genutzt: Aus dem Partykeller ist der Hobbyraum geworden.
Hier zeigt sich eine weitere soziale Veränderung. Welche Eltern treffen sich in ihrer Freizeit noch mit Freunden und Bekannten? Der Partykeller ist verschwunden, weil die Eltern ihn selber nicht mehr nutzen.

Es hat sich einiges geändert…
Stimmt, die gesellschaftliche Entwicklung geht immer mehr hin zu egozentrischem Verhalten. Wenn man einen Freizeitpark besucht, dann nicht, um andere Menschen kennenzulernen, sondern um für das bezahlte Geld möglichst viel geboten zu bekommen.

Das meinen Sie also mit kommerzialisiertem Freizeitverhalten?

Ja. Das soziale Verhalten in den letzten Jahren hat sich extrem verändert.
Deshalb dürfen wir mit dem Finger nicht nur auf die Jugendlichen zeigen und vorwurfsvoll den hohen Medienkonsum verurteilen, sondern wir Erwachsenen müssen uns unserer Verantwortung und unserer Vorbildfunktion wieder vermehrt bewusst werden und uns fragen: Wie funktioniere ich selbst während meiner freien Zeit?

Es wäre so einfach…

(Lacht) Stimmt! Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah, frei nach Johann Wolfgang von Goethe.

© Uwe Buermann

Zum Autor:

Uwe Buermann, 1968, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim IPSUM-Institut für Pädagogik, Sinnes- und Medienökologie, Stuttgart, Medien- und Suchtberater, Initiator von www.erziehung-zur-medienkompetenz.de, Autor zahlreicher Bücher, Vater von zwei Kindern.

Kommentare (0) :

Artikel kommentieren
Artikel-Archiv
  • 08.09.2023 [Kommentare: 0]

    Der Curso de Estudios Hispánicos in Granada: Eine Reise in die spanische Kultur und Sprache

    Granada, eine malerische Stadt im Süden Spaniens, ist nicht nur für ihre atemberaubende Alhambra und die Sierra Nevada bekannt, sondern auch für ihre reiche kulturelle Geschichte und lebendiges Studentenleben. Der Curso de Estudios Hispánicos in Granada ist eine einzigartiger Kurs, der es Studenten aus aller Welt ermöglicht, in die .. Artikel weiterlesen

  • 08.08.2022 [Kommentare: 0]

    Spanischkurse im Sommer in Spanien: Spanisch lernen in Jaca in den Pyrenäen

    Spanisch lernen mal anders. Nicht wie üblich am spanischen Meer oder in den typischen Städten wie Sevilla, Madrid oder Granada, sondern am Fuße der Pyrenäen in Aragonien. Das sind die Sommerkurse für Spanisch als Fremdsprache der Universität Saragossa in Jaca. Denn in den heißen Monaten verlegt die Universität Saragossa ihre Tätigkeit in .. Artikel weiterlesen

  • 01.07.2022 [Kommentare: 0]

    40 Jahre deutsche duale Berufsausbildung in Spanien

    Der deutsche Botschafter in Spanien, Wolfgang Dold, und Gerardo Gutiérrez Ardoy, Generaldirektor der öffentlichen Arbeitsverwaltung (SEPE), feiern das 40-jährige Bestehen der deutschen Auslandsberufsschule FEDA Madrid, die mehrsprachige und hochqualifizierte junge Menschen in Spanien ausbildet und diese direkt in die Arbeitswelt.. Artikel weiterlesen

  • 08.06.2022 [Kommentare: 0]

    fedaEDU, die German Business School in Barcelona

    fedaEDU, die „German Business School“ in Barcelona, zur Förderung der Jugendbeschäftigung in Spanien, sowie dem Wachstum von Unternehmen. Auf Initiative der in Spanien ansässigen deutschsprachige Unternehmen wurde im Jahr 1980 die FEDA (Formacion Empresarial dual Alemana) zur Ausbildung qualifizierter Fachkäfte mit hohen Sprachkenntnis.. Artikel weiterlesen

  • 07.03.2022 [Kommentare: 0]

    INTERVIEW: Christina Urech, Direktorin der Schweizer Schule Madrid

    Bitte beschreiben Sie kurz Ihren Werdegang. Ich habe an der Universität Zürich Italienisch, Französisch und Deutsch studiert und die Lehramtsberechtigung als Gymnasiallehrperson erworben. Nach 15 Jahren Unterrichtstätigkeit habe ich mich in ‚General Management‘ weitergebildet und danach 2006 die Direktion der Schweizer Mailand übernommen... Artikel weiterlesen

  • 07.10.2019 [Kommentare: 0]

    Alternative Schulen in Spanien

    Die alternative Bildung kommt in Mode. Eltern sind auf der Suche nach neuen Methoden, die ihren Kindern mehr Respekt entgegenbringen, einen ganzheitlichen Ansatz bieten und die Familien mit einbeziehen. Vielleicht, weil die heutige Gesellschaft nach aktiven und teamfähigen Persönlichkeiten mit vielseitigen Fähigkeiten verlangt. Denn .. Artikel weiterlesen

  • 27.09.2018 [Kommentare: 0]

    5 Jahre Kooperation der Auslandsberufsschule FEDA Madrid mit Hessen

    Die bestehende 5-jährige Zusammenarbeit mit dem Land Hessen, das die Berufsschule FEDA Madrid seit 2013 mit der Entsendung des Berufsschullehrers Christoph Weissbach, unterstützt, hat FEDA vom 17. bis 20. September 2018 mit einer Fachtagung zum Thema berufliche Ausbildung in Spanien „made in Germany“ und „made in Spain“ gefeiert. Bei der.. Artikel weiterlesen

  • 04.06.2018 [Kommentare: 0]

    Das spanische Schulsystem

    Kindergarten und Vorschule. Bevor die Kinder in Spanien in das eigentliche Schulsystem eintreten, besuchen sie im Regelfall die Guardaria, die einer Kindertagesstätte entspricht (für Kinder von 0-3 Jahren). Außerdem gibt es Kindergärten bzw. Vorschuleinrichtungen. Die Educación infantil für Kinder von 3-6 Jahren ist staatlich finanziert... Artikel weiterlesen

  • 18.05.2018 [Kommentare: 0]

    Die Feda Madrid gewinnt den ersten Preis der Industrie- und Handelskammer Deutschland (IHK)

    MIT DEM PROJEKT “DUALE AUSBILDUNG: BRÜCKEN BAUEN ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND SPANIEN“ GEWINNT DIE FEDA MADRID DEN ERSTEN PREIS DER INDUSTRIE- UND HANDELSKAMMER DEUTSCHLAND (IHK). Der Dachverband der Industrie- und Handelskammer Deutschland (DIHK) in Berlin hat in der sechsten Auflage des Wettbewerbs zwischen deutschen Auslandsschulen den.. Artikel weiterlesen

  • 25.04.2018 [Kommentare: 0]

    12 spanische Universitäten unter den 50 besten der Welt

    12 spanische Universitäten haben sich in konkreten Disziplinen unter den 50 besten der Welt platziert, gemäß dem Ranking Quacquarelli Symonds 2018 (QS). Denn 22 spanische Fakultäten gehören jetzt zu den besten der Welt; ein beachtenswertes Resultat, wenn man bedenkt, dass Spanien im internationalen Vergleich bisher eher durchschnittlich.. Artikel weiterlesen