Demokratie, was ist das?
06.03.2010 - Stefanie Claudia Müller - scm communication
Ich habe mich schon oft gefragt, warum die USA im Namen der Demokratie Kriege beginnen und die gesamte Welt mit aller Gewalt überzeugen wollen, dass ihr System das beste ist. Warum gibt es angesichts der vielen Konflikte in Bezug auf Demokratie oder Diktatur nicht schon längst eine Debatte über ein drittes System bzw. eine erneuerte oder zumindest eine andere Demokratie als wir sie kennen? Glauben wir wirklich, die Realität ist so einfach, dass sie so schwarz und weiss ist wie es derzeit von vielen westlichen Mächten dargestellt wird? China und Kuba schlecht, da keine Demokratien und Europa sowie die USA glänzen in Freiheit.
Gerade in Spanien spürt man die Schwächen der westlichen Demokratie jeden Tag: Überall wird man mit Propaganda konfrontiert. Ich habe nie in den USA gelebt, aber ich denke, dass es dort in vieler Hinsicht ähnlich ist. Lobbygruppen, Werbung und Kirchen bestimmen ein Großteil des öffentlichen Lebens, nicht aber die vom Volk gewählten Parteien.
In Spanien mischt sich die katholische Kirche auf hetzerische Weise in die öffentlichen Debatten ein und betreibt im von ihr dominierten Erziehungssystem und in den Medien ganz extreme Beeinflussung auf die Wertevorstellung von Menschen, wobei solche, die sich als bessere Menschen fühlen und darstellen, leider genauso menschlich und damit fehlerhaft sind wie alle anderen, nicht selten pervertiert die zwanghafte Unterdrückung des Sexualtriebes in Spanien eine besonders üble Doppelmoral. Auch das trifft man aber leider überall an, nicht nur hier.
Aber diese spanische "Moral-Erziehung" in allen Lebenslagen geht wirklich etwas zu weit und schränkt die Menschen ein in ihrer freien Wahl. Und die Beeinflussung fängt in den frühsten Jahren an und läßt leider auch nicht den Kulturbereich aus. So war ich kürzlich bei einer kindgerechten Aufführung der Oper "La Traviata", organisiert von einem religiösen deutschen Kreis in Madrid, wo der Pausen-Erzähler den Kindern erklärt, wie sittenlos die Protagonistin Violetta doch ist und dass man doch nur eine Liebe haben kann etc., etc...
Die Allmacht der Kirche in der spanischen Gesellschaft hat dazu geführt, dass es derzeit kaum noch “linke” Medien gibt, Intereconomía, Cope, La Gaceta, esmadrid, ABC, La Razón oder El Mundo, alle diese Medien werden von der Kirche direkt oder indirekt gesteuert. Nicht immer, weil diese Medien sich als besondere Moralhüter verstehen, sondern vor allem, weil es um Macht geht und die Kirche hat in Spanien immer noch eine enorme Macht, die zu Lasten der Demokratie geht. Es gibt außer La Vanguardia keine Zeitung mehr, die einigermaßen objektiv und wahrheitsgemäß berichtet. El País läßt wichtige Informationen weg, um der Regierung zu gefallen, El Mundo biegt sich seine Welt wie es ihr gefällt und ABC versucht sich als religiöser Wächter und Sprachrohr der PP. Medien als Kontrolle der Demokratie funktionieren in Spanien nicht.
Die beiden Volksparteien PSOE und PP treiben derweil die Gesellschaft auseinander. Fast alle politische Aktionen dienen dazu, den politischen Konkurrenten zu schädigen, nicht aber dem Wohl der Gemeinschaft. Die Kirche benutzt diesen Streit zu ihren Gunsten und manipuliert nach Belieben die konservative PP.
Aber noch schlimmer: Die Justiz, der größte Wächter in einer Demokratie, ist in Spanien komplett in Händen der Parteien. Die Richter werden nicht von einem unabhängigen Gremium ernannt. Zudem ist die Verwaltung langsam, Urteile werden hinausgezögert, Prozesse werden zu Medienspektakeln. Zudem hat das spanische Rechtssystem erhebliche Schwächen wie der Fall des Staranwalts Baltasar Garzón zeigt.
Die Demokratie ist ein weltweit geschätzes System, weil die Macht theoretisch beim Volk liegt. In Spanien und vielen anderen Ländern hat sich dieses System jedoch komplett pervertiert. Zwar gibt man sich den Anschein eines meinungsfreien Staates, in dem jeder entscheiden kann, was er will und frei wählen kann, de facto ist es aber nicht so, da wir tagtäglich mit Propaganda berieselt werden. Weil wir in diesem Land oft beruflich nicht weiterkommen, wenn wir nicht zu der einen oder anderen Seite überlaufen.
Wie schon öfters hier in den Blogs angeklagt, fehlt es an Kampfgeist für die Demokratie, nicht nur in Spanien, aber gerade hier und heute. Die jungen Menschen sollten sich nicht gefallen lassen, dass 40 Prozent der jungen berufsfähigen Bevölkerung derzeit ohne Arbeit ist. Und auch die Eltern sollten sich nicht gefallen lassen, dass sie die Kosten tragen für das teilweise schlechte Management in den Firmen und die Gier der Eigentümer.
Demokratie hat nur dann einen Wert und ist nur dann ein zu rühmendes System, das wir hochhalten können, wenn die Macht wirklich vom Volk ausgeht. Bürger sollten neue Parteien gründen, Vereine, Interessengruppen, sollten demonstrieren für ihre Rechte und nicht auf die Strasse gehen, wenn es die Partei fordert.
Aber noch wichtiger: Eine Demokratie muss ein Großteil ihres Geldes in Bildung stecken, damit das Volk überhaupt die Fähigkeit hat, politische Programme, wirtschaftliche Hintergründe und Machtstrukturen zu verstehen und Propaganda zu entlarven. Leider hat Spanien in dieser Hinsicht noch einen großen Nachholbedarf. Das gesamte Konzept der Aufarbeitung der spanischen Geschichte in den Schulen müßte überarbeitet werden, damit die Menschen wirklich zu schätzen wissen, was sie an der "gerade" gewonnenen Demokratie haben und sich nicht schon wieder manipulieren lassen von den gleichen Machteinflüssen der Diktatur, nur diesmal augenscheinlich im Namen der Freiheit...Dafür muss man dann aber auch mal sprechen darüber, was unter Franco alles falsch gelaufen ist.