HINTERGRUND: Prostitution als Ausweg aus der Wirtschaftskrise?

27.02.2014 - Rafael Heberling / Barcelona für Deutsche 

Barcelona ist eine Stadt der Gegensätze. Hier gibt es Kreativität und Avantgarde, die vor nichts halt macht. So schnell wird es hier nicht langweilig: "Olé, olé, wir fahren in den Puff nach Barcelona…" sang Mickie Krause schon 1999 zur Melodie des italienischen Volksliedes "Funiculi, Funicula". In Barcelona wird seit langem parlamentarisch und polizeipolitisch diskutiert, was aktuell die EU spaltet: das Verhältnis zur Prostitution.

Freier-Bestrafung und Verbot der Straßenprostitution, was man derzeit in Frankreich zwischen Parlamentariern diskutiert, hat man schon vor Jahren in Barcelona versucht, Schweden hat die Prostitution verboten, Deutschland hat sie legalisiert – und kassiert ordentlich Steuern.

In Barcelona schlugen die Nachbarn Alarm, weil hier, wo man tagsüber frisches Fleisch und junges Gemüse kaufen kann, nachts in »La Boquería« eine etwas andere, exzessivere Interpretation dieser Worte gepflegt wurde. Mit der konservativen Stadtregierung kamen die Polizisten und haben die Prostituierten verdrängt, weil es das Geschäft der Bars, Restaurants und Andenkengeschäfte um die Ramblas in ein vermeintlich »schlechtes« Licht rückte, aber auch, weil es überhand nahm, Verhältnisse ansteuerte, die demokratisch und demographisch nicht mehr vertretbar waren. Die Straßenmädchen schlugen zurück: unter anderem mit einer Plakataktion »die Straße gehört auch uns…!« Diese Kraftprobe zwischen den Politikern und den Damen, die langsam gehend schnelles Geld verdienen, dauert aktuell noch an: sichtbar rund um die Filmoteca und das Barça-Stadion im vornehmen Les Corts.

Die weltgrößte Mobilfunk-Messe WMC steht vor der Tür, da rüstet auch das horizontale Gewerbe auf: laut Núria Navarro in ihrem Artikel in »el periódico« vom 16.2.2014 erhält dann allein die »Begleit-Agentur« "Photo-Escorts", nur eine von vielen in Barcelona, 10.000 Anfragen pro Woche. »El periodico« vermeldet hier Stundentarife von 400 - 500 Euro im Schnitt. Da kommt die Prostitution als Ausweg aus der Krise schon schnell in den Sinn. Laut Núria Navarro (el periodico) arbeiten auf dem horizontalen Markt in der Stadt etwa 43 Einheimische und der Rest Ausländerinnen, dabei überdurchschnittlich viele sehr junge Frauen, um – die 20 Jahre – oder Ältere, um 50 Jahre plus. Während die jungen Frauen meist angeben, hiermit ihre Aus- und Weiterbildung (Uni) zu finanzieren, bietet es laut Núria Navarro den 50(+) jährigen einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit. Die Bedrohung, das Dach über dem Kopf zu verlieren, lässt viele Frauen in Gedanken den Ausweg durch Prostitution erwägen, um ihre Familien zu retten. (Anm.: die spanische Regierung praktiziert eine unmenschliche Zwangsräumungspolitik, wenn die von Banken überfinanzierten Hypotheken nicht ordentlich bedient werden können.)

Laut »el periódico« vom 16.2.2014 ist auch Conxa Borell vor sieben Jahren so zum Escort-Dienst gekommen. Jetzt zum World Mobile Congress bietet die Chefin der Huren-Gewerkschaft »Aprosex« (www.aprosex.com) einen Crash-Kurs für Interessierte und angehende Profis im horizontalen Gewerbe an. Für 45 Euro bekommt man Grundwissen des Gewerbes vermittelt. "Das Geld wird mit dem Kopf verdient und nicht mit der Muschi…" formuliert Conxa Borell dies provozierend (»el periódico«16.2.2014) und klärt mit den »Novizinnen« zunächst auch Grundsätzliches in ihrer Persönlichkeitsstruktur. "Eine Hure, die zwar das Geld aber keinen Sex liebt, ist wie eine Magerüchtige als Restaurant-Kritikerin", merkt sie an. Darüber hinaus berät Contxa auch beim "Outing", denn die psychische Belastung durch das »Doppelleben«, das gerade Mütter oder verheiratete Frauen in diesem Zusammenhang oft ertragen müssen, ist nicht ohne.

Angesichts dieser Motivation zum ältesten Beruf der Welt sollte man in Europa vielleicht eher diskutieren, ob die Zwangslage, wie z.B. eine drohende Zwangsräumung oder mangelnde Mittel zur Hochschul-Ausbildung, eine Art Druck in Richtung Prostitution darstellen, die seitens des Staates, von der Politik, ausgeübt wird.

Schweden hat im Gegensatz zu vielen EU Ländern wie z. B. Deutschland, die Prostitution marginalisiert und eine Freier-Bestrafung eingeführt. Neben drastischen Strafen (250 Euro bei Wiederholung 600 Euro und mögliche Freiheitsstrafen) droht den Freiern in Schweden auch die soziale Ächtung. Während man in Schweden laut der Sendung »yourope« ("Die Freiheit der Freier" Sendung vom 15.2.2014, produziert vom SWR) einen 40 prozentigen Rückgang der Prostitution verzeichnet, verdient der deutsche Fiskus, laut »yourope» in "dem größten Puff Europas" (Deutschland), mit seinen 400.000 registrierten Sex-Arbeiterinnen allein an 15 Milliarden Umsatz im Jahr auch noch zusätzlich an der Vergnügungssteuer in manchen Städten. In Köln z.B. müssen die Damen des Gewerbes selbst am elenden Straßenstrich einen Steuerzettel von 6 Euro am Automaten täglich lösen und den Kontrolleuren vorweisen. Es scheint sich für den Kämmerer zu lohnen, diese teuren Automaten anzuschaffen und aufzustellen.

Zahlen zum Vergleich: in Schweden sind (laut arte 15.2.2014) nur noch 3.000 Prostituierte bekannt, in Frankreich sind es schon 40.000 und in Deutschland 400.000. Das Finanzamt bzw. die städtische Behörde als "Zuhälter" hat in Köln auch schon bizarre Geschichten in die Zeitung »Express« gebracht: das Großbordell »Pascha« hatte eine Professionelle als Angestellte beschäftigt und nach Umstellung des Betriebs auf "Hotel-Dienstleistungen" für die Damen ("Laufhaus") jene Angestellte entlassen. Daraufhin suchte sie beim Arbeitsamt –
pardon: “Arbeit" und "Amt" haben selten harmoniert – ausserdem man hat ja nur noch "Jobs" und keine Arbeit mehr dort zu bieten, folglich muss es richtig heissen:
suchte sie bei der "Job-Börse" von der "Agentur" für Arbeit zu Köln eine neue Stelle als Profi des »Gewerbes«. Kurz darauf zeigte das ehemalige Bordell den Arbeitsvermittler der Stadtverwaltung wegen Zuhälterei an. (…) Nun ist die Geschichte wie das berühmte Hornberger Schiessen ausgegangen, jedoch bleibt, dass die deutschen Behörden die Umsatzsteuer und Vergnügungssteuer gerne kassieren. Die Damen des Gewerbes aber nach wie vor Probleme bei Krankenkassen oder Wohnungssuche haben und gesellschaftlich geächtet werden, statt für einen derartigen Beitrag zum Staatswohl gelobt zu werden. 15 Milliarden Umsatz pro Jahr ist ja ein erkleckliches Sümmchen. Böse Zungen behaupten, "da weiß man schon, wer die jüngste Diätenerhöhung der GroKo finanziert".

In Schweden hat das Verbot hingegen auch nicht wirklich das erwünschte Ergebnis gebracht. Schlimmer noch: meist sind es dort nun Zwangsprostituierte laut »yourope«, denn sie riskieren viel und das macht man unter diesen Umständen in Schweden wohl nur noch gezwungenermaßen und keinesfalls freiwillig. "Es ist einfacher in Stockholm um 11 Uhr nachts eine Hure nach Hause zu bestellen als eine Pizza", sagt ein interviewter Sozialarbeiter aus Stockholm in der Sendung bei arte und zeigt damit das verfehlte Ergebnis. Die Prostitution ist lediglich in den unkontrollierbaren Untergrund abgewandert.

Während »das Gewerbe« laut »arte« europaweit nach Deutschland abwandert, bekommt man hier in Barcelona für die neuen "Gastarbeiterinnen" in Europas "Fleischgewerbe" schon die profunde Ausbildung. Damit Deutschland z.B. mit seiner legalen Prostitution, auch in 2014 weiter steigende Steuereinnahmen verzeichnen kann. Wo wir ja seit einer Dokumentation bei "la Sexta" am 20. 2. 2012 (*) bereits erfahren konnten, dass die gut ausgebildeten spanischen Ingenieure in Deutschland eher beim 400 Euro Job im amerikanischen Schnellimbiss landen, sind die gut ausgebildeten Profis im horizontalen Gewerbe bei Stundensätzen, die höher liegen als das, was die Minijobs im ganzen Monat erwirtschaften, sicherlich eine größere Bereicherung für den deutschen Fiskus.

Mehr zum Thema:
http://elventano.blogspot.com.es/2014/02/aprosex-organiza-un-curso-en-barcelona.html
http://www.aprosex.org/
http://www.arte.tv/guide/de/sendungen/YOU/yourope
http://www.elperiodico.com/es/noticias/sociedad/quiero-ser-puta-3105869
(*) Sendung von La Sexta mit Interview eines Kölner Soziologie-Professors zur Beschäftigungslage in Deutschland bei youtube:
http://youtu.be/mjhJ4rPfTG8

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